: Frauenhäuser: Kein Ort für Kinder
■ NRW-Landesregierung stellt Studie „Kinder in Frauenhäusern“ vor - Fazit: Die Einrichtungen können ihren pädagogischen Aufgaben aufgrund von Personalmangel und hoher Fluktuation kaum gerecht werden
Sie wurden geprügelt, auf die Fußsohlen geschlagen, getreten, eingesperrt; sie mußten scharfe Speisen essen, Schnaps trinken, Ausgespucktes wieder hinunterschlucken. Es geht um Kinder. Um die Kinder, deren Mütter in Frauenhäuser flüchten mußten.
In den 200 Frauenhäusern der Bundesrepublik leben genau so viele Kinder wie Frauen, was bisher nur selten wahrgenommen wurde. Von der Gleichstellungsstelle in Nordrhein-Westfalen wurde jetzt eine Untersuchung Kinder in Frauenhäusern von Cordula Winkels und Christine Nawrath aus Bremen veröffentlicht. Die Untersuchung soll „der derzeitigen Diskussion um Mißhandlung und sexuelle Gewalt gegen Kinder durch einen konkreten Sachbeitrag wichtige Impulse geben“.
Die empirische Studie ist nicht repräsentativ für die Bundesrepublik: Zehn Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen wurden untersucht; 50 Frauen wurden befragt, 91 Kinder in die Arbeit mit einbezogen. Über die Hälfte dieser Kinder (49) waren selbst Opfer von Mißhandlungen, zwei Kinder waren sexuell mißbraucht worden.
Frauen sind der Aufgabe, sich um die Mißhandlungen und deren Folgen bei den Kindern zu kümmern, nicht gewachsen. Frauenhäuser sind Durchgangsstationen. Eine kontinuierliche Arbeit kommt dort nicht zustande. Den Kindern kann, auch wenn die finanziellen und personellen Voraussetzungen gegeben wären, nur kurzfristig geholfen werden.
„Frauenhäuser werden nach und nach in unser Sozialsystem integriert, Politiker sprechen jetzt davon, daß Frauenhäuser eine wichtige Lücke im sozialen Versorgungssystem schließen“, heißt es in dem Bericht, der jedoch gleichzeitig belegt, daß dies ein frommer Politikerwunsch ist, der nichts kostet. Nach wie vor fehlt es an Geld, an Personal und auch an räumlichen Voraussetzungen - ganz besonders im Kinderbereich der Frauenhäuser. Von den zehn in die Untersuchung einbezogenen Frauenhäusern hatten nur zwei fest eingestellte Mitarbeiterinnen im Kinderbereich; in drei Häusern wurde die Arbeit ehrenamtlich geleistet, in den restlichen durch ungesicherte AB-Maßnahmen durchgeführt. Die völlig unzureichende Personalsituation, aber auch die hohe Fluktuation in den Frauenhäusern setzt den pädagogischen Zielsetzungen enge Grenzen. Zunächst geht es um eine Entlastung der Mütter, dann darum, den Kindern eine möglichst unbeschwerte Zeit mit möglichst großen Freiräumen zu verschaffen.
Wenn es Ziel der Untersuchung war nachzuweisen, daß der pädagogische Bereich in Frauenhäusern unterbesetzt ist und Argumente für die Verstärkung dieser Arbeit benötigt werden, so ist das überzeugend gelungen. Wenn es aber Ziel sein sollte, die Lage der Kinder zu beleuchten, auf ihre körperlichen und seelischen Nöte aufmerksam zu machen und die Ursachen dafür, so ist es nicht erreicht. Die Problematik der Kinder wird zu sehr von der Warte der Mütter betrachtet. „Grundlage der Erhebung der Situation der Kinder bilden die Aussagen der Mütter und Mitarbeiterinnen. Da es sich um subjektive Eindrücke handelt, ist davon auszugehen, daß verschiedene Aspekte der Gewaltproblematik sowie die psychischen und physischen Befindlichkeiten der Kinder vielfältig gefiltert wiedergegeben wurden“, heißt es in der Untersuchung.
Die Kinder wurden aus Geld- und Zeitgründen nicht befragt. Hier wurde an der falschen Ecke gespart. Kinder werden nicht wirklich ernstgenommen. Mütter, die - so die Studie - zu 31 Prozent selbst an Mißhandlungen der Kinder beteiligt waren, sind die Hauptinformantinnen. So kommt es dann zu Einschätzungen wie: „Es läßt sich in diesem Bericht nicht eindeutig nachweisen, daß die gewalttätige Atmosphäre, in der die Kinder aufwuchsen, ursächlich für bestimmte Verhaltensweisen war, zumal Auffälligkeiten im Verhaltensbereich auch bei anderen Kindern weit verbreitet sind...“
Woher kommen die Auffälligkeiten? Was sind überhaupt Mißhandlungen? In der Studie wird hauptsächlich auf die sichtbaren Verletzungen eingegangen, die seelischen Schäden werden vernachlässigt. Registriert wird zweimal sexueller Mißbrauch und auf die Dunkelziffer in diesem Bereich verwiesen. Die Ergebnisse und Forschungsmethoden der Kinderpsychologie und der Psychoanalyse werden nicht herangezogen.
Zu kurz kommt auch der Blick auf die „normale Erziehung“, auf die ganz alltägliche Gewalt gegen Kindern. „Das sogenannte 'Schlagen zum Erziehungszweck‘ wurde nicht miteinbezogen, wenn es nicht häufig vorkam, sich auf 'Klaps auf den Hintern‘, 'Ohrfeige‘ und ähnliches beschränkte und die Kinder nicht offensichtlich schädigte“, schreiben die Autorinnen. Dies alles gehört offenbar auch für sie zur „elterlichen Gewalt“.
Dabei reagiert die Öffentlichkeit auf Gewalt gegen Kinder immer noch meist gleichgültig. ÄrztInnen, NachbarInnen und Eltern vermögen oft nicht zu erkennen, daß autoritäre Erziehungsmethoden die Kinder quälen. Doch auf diesem Boden gedeihen Mißhandlungen. „Viele Mütter, selbst mißhandelt und in Krisensituationen, haben nicht die Kraft, angemessen auf die Probleme und die Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen, zumal sich die Mutter-Kind-Beziehung nicht unabhängig von der Paarbeziehung entwickelt“, so die Untersuchung. Die Mitarbeiterinnen in den Kinderbereichen der Frauenhäuser sind dadurch einer weiteren Belastung ausgesetzt: „Ein grundsätzlicher Konflikt der Arbeit im Kinderbereich des Frauenhauses liegt darin, daß Parteilichkeit für Kinder und Parteilichkeit für Frauen sich ausschließen können..., bei allem Verständnis für die Situation der Mütter müssen die Mitarbeiterinnen die Interessenvertretung vor allem der kleineren Kinder übernehmen.“ Jedoch können sie nichts unternehmen, wenn die Kinder gegen ihren Willen mit zum Vater zurückgehen müssen - in die alte Gewaltsituation.
Bis jetzt gibt es keine wirkliche Hilfe für mißhandelte Kinder, die nicht in die Familie zurück wollen oder können. Der Bericht fordert deshalb dringend die „vermehrte Einrichtung von Kinderschutzzentren, die sich mit ihrem intensiven psychosozialen Einsatz und der unkonventionellen Handhabung von Krisensituationen bewährt haben“. Sie wären nicht nur Zufluchtsorte, sondern könnte das Problem der Gewalt gegen Kinder ins öffentliche Bewußtsein rücken. Bis jetzt allerdings sind die zaghaften Ansätze in Richtung Kinderschutzzentren noch weniger finanziell abgesichert als die Frauenhäuser.
Christine Weber-Herfort
Kinder in Frauenhäuser. Eine empirische Untersuchung in Nordrhein-Westfalen. Hg.: Parlamentarische Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann.
c/o Ministerpräsident von NRW, Haroldstraße 4, 4000 Düsseldorf 1
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