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Der Anwalt der PDS auf Wahlkampftour

Gregor Gysi machte auf seiner Rundreise durch die Republik Station in Leipzig / Nur etwa 3.000 waren auf den Sachsenplatz gekommen, um den Parteivorsitzenden zu hören / Proteste von DSU- und CDU-Anhängern am Rande der Kundgebung / Beifall dagegen im Parteihaus  ■  Aus Leipzig Brigitte Fehrle

Gregor Gysi, der Spitzenkandidat der PDS, gerierte sich in der „Heldenstadt“ Leipzig bescheiden. Nicht der Balkon der Oper, auf dem sich seit Wochen die westlichen Spitzenpolitiker am Mikrofon abwechseln, war sein Auftrittsort. Er sprach am Freitag nachmittag einen Steinwurf weiter auf dem Sachsenplatz zu denen, die der „gewandelten“ Partei die Treue halten. Nur etwa 3.000 waren es, die in der Domäne der Konservativen ihren Parteivorsitzenden sehen und hören wollten. Doch Gysi will Mut machen und „staunt, daß wir noch so viele sind“.

Wenn sie gekommen waren, um sich zu begeistern, um eine feurige Wahlkampfrede zu hören, wurden sie enttäuscht. Gregor Gysi ist kein Massenredner und seine leisen Töne wurden von der miserablen Lautsprecheranlage so schlecht übertragen, daß die am Rande skandierenden CDU-, DSU- und Republikaner-Sympathisanten ihn zeitweise überbrüllten. „Gysi raus“ und „Gysi ist das Letzte“, waren die harmloseren Beschimpfungen, die sich der Parteivorsitzende in Leipzig anhören mußte. Gysi kennt das schon. Auf seiner Wahlkampftour durch die Republik ging keine öffentliche Veranstaltung ohne Proteste zu Ende. Er kämpft mit den Waffen Humor und Ironie und läßt sich nicht beirren. „Wir werden nach der Wahl auch die Interessen der Bürger vertreten, die da hinten stehen“, meint er auf die Protestler bezogen und prophezeit seinen Anhängern, „daß von denen auch so mancher heimlich die PDS wählen wird“. Das Lachen der alten SED- und neuen PDS-Mitglieder auf dem Platz ist befreiend. Mit Gregor Gysi kommt einer daher, der sie von ihrer Schuld für 40 Jahre Stasi-Herrschaft entlastet und ihnen die Verantwortung für Mißwirtschaft und Bankrott abnimmt.

Systematisch bereitet er die Parteimitglieder auf die Oppositionsrolle vor. Er sei sicher, daß nach der Wahl „die Straße wieder uns gehört“, meint er als Anspielung auf die Montagsdemonstrationen, die seit Monaten von den Konservativen beherrscht werden. Die PDS werde dafür eintreten, daß das neue Deutschland ein „soziales Deutschland“ wird. Da es die PDS nicht nötig hat, mit Wiedervereinigungsideologie im Wahlkampf auf Stimmenfang zu gehen, kann sie sich mit Weitsicht auf die Oppositionsrolle vorbereiten. Geschickt besetzt Gysi alle traditionellen Themen der Sozialdemokratie. Mieten, Altersversorgung, Arbeitsplatzsicherheit. „Wir wollen keine Ellenbogengesellschaft“, stellt er klar, und seine Anhänger pflichten ihm bei. Es ist nicht Jubel und Begeisterung, was Gregor Gysi auf dem Sachsenplatz entgegenkommt. Eher freudige Dankbarkeit. „Don't worry, take Gysi“, rät die PDS auf Hochglanzaufklebern zur Gelassenheit. Daß ihre Partei nicht mehr mit demagogischen Rednern in der Öffentlichkeit auftritt, sondern mit dem intelligenten und humorigen Unterhalter Gysi, scheint den PDS-Anhängern Beweis genug für den Wandel.

Später am Abend, im ehemaligen Parteihaus in der Seeburgstraße, als man sicher ist, unter sich zu sein, trauen sich die Mitglieder mehr. Gysi wird euphorisch beklatscht. Doch wie schon auf dem Sachsenplatz bleibt er auch bei der Rede vor den Genossen seltsam kühl und distanziert. Er spricht nicht mit der Identifikation eines Parteivorsitzenden. Er spricht mit dem taktischen Engagement des Anwalts und mit dem professionellen Understatement des Kabarettisten, der nie über seine eigenen Witze lacht. Kein Thema endet, ohne daß Gysi der Partei Selbstironie verordnet: „Wir haben kürzlich beschlossen, keine Massenpartei mehr zu sein. Nicht alles, was wir beschließen, setzen wir um - diesen Beschluß schon...“ Daß hinter den Gags die Inhalte abfallen, scheint den PDSlern, an Ideologie und Demagogie gewöhnt, nichts auszumachen. Die Leichtigkeit, mit der Gysi über Abrüstung, die Auflösung der NVA und die Abschaffung des Wehrdienstes redet, gefällt den etwa 500 Leipzigern, die im völlig überfüllten Parteisaal sitzen. Gysi versucht vor allem, das gebrochene Selbstbewußtsein der DDR-Bürger zu heilen. „Man hat diesem Volk die Identität genommen“, sagt er, und meint mit „man“ den Westen. Die Schuld wird nach außerhalb verschoben. Daß die Partei unabhängig ist und kein Geld aus der BRD bekommt, darauf müsse man stolz sein. Und damit auch dieses Thema nicht trocken bleibt, und weil die SED ihre Erfahrungen mit der DKP gemacht hat, erzählt Gysi noch, wie er kürzlich Egon Bahr (SPD-West) gewarnt habe: „Mit den Ziehkindern ist das so eine Sache, sie sind teuer, und es bringt nichts“.

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