: Ein Kreuzzug für die Evangelikalen
Religiöse, moralische und politische Intoleranz - Markenzeichen der Freikirchen ■ Von Jörg D. Gemko
Wer in diesen Wochen des Wahlkampfes meint, es würden nur Parteiideologien propagiert oder Bürgerinitiativerklärungen abgegeben, der wird auf dem Leipziger Hauptbahnhof, am Grenzübergang Potsdamer Platz oder im ND um eine Erfahrung reicher: Auch mit Jesus oder Dr. Theo Lehmann, Wilhelm Busch und Billy Graham ist Wahlkampf zu machen - freilich, so wird der uneingeweihte Leser glauben: für die Kirche.
Was sich hinter den Schriften Lehmanns oder Wilhelm Buschs (nein, nicht der von Max und Moritz) verbirgt, ist nicht einmal auf den zweiten Blick erkennbar und selbst braven evangelischen, lutherischen, reformierten, katholischen und anderen Kirchgängern nicht ganz klar, denn die Grenzen von der evangelischen Großkirche bis zu den hartgesottensten Bibel-Fundis sind fließend.
Da ist der 1966 „von seinem Herrn ... heimgeholte“ Jugendpfarrer, Evangelist, Prediger und Schreiber Busch, dessen Name auf Schrifttafeln in Leipzig für „Jesus - unser Schicksal“ wirbt (so ein Buchtitel). Sein Bekennntis ist so einfach wie platt, daß es wiedergegeben sei: „Lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm!“ - freute sich Busch über die beste Antwort an „die Spitzen der Behörden“ auf einem Kirchentag in Leipzig. „Es war unheimlich, wie die Leute auf einmal erschüttert waren.“
„Allah, Buddha - das sind Projektionen unserer Wünsche.“ ... „Aber das ist doch nicht Gott!“ zieht Busch apodiktisch alle fremden Religionen über den Tisch, um zu verkünden: „Es gibt nur einen richtigen Glauben, mit dem man richtig leben und sterben kann: das ist der Glaube an den Herrn Jesus Christus ...“ Wie toleranzfähig der Glaube Buschs ist, der im Schützengraben des Ersten Weltkrieges zu Gott fand und Jesus gern mit einer Metapher aus dem Kriegsunwesen vergleicht (wie ein Schutzschild, der vor den Geschossen der Tanks bewahrt), kommt in den konkreten Lebensweisungen so zum Ausdruck: „Ich muß also in aller Deutlichkeit sagen: vorehelicher Geschlechtsverkehr, lesbische Liebe, Homosexualität ... sind Sünde, für die sie geradestehen müssen vor dem Angesicht des heiligen Gottes!“ Und als Vorkämpfer der Frau-an- den-Herd-Ideologie riet er: „Nun seien Sie auch Frauen!“ Busch, der wohl wußte, was eine Frau „eigentlich“ ist, wußte auch was „krankhaft“ ist: „Der krampfhafte Versuch der Frauen, wie Männer zu sein ...“ Von daher beklagte er auch nicht den Tod von 5 Millionen Männern im Zweiten Weltkrieg, sondern „daß 5 Millionen Mädchen der höchste Wunsch ihres Lebens versagt blieb, einen Mann glücklich zu machen ...“
Religiöse, moralische Intoleranz ist das Signum der evangelikalen Kräfte, die sich in der BRD längst zu einer „Evangelischen Allianz“ zusammengeschlossen haben. Das sind die freikirchlichen Gemeinden, die in der Tradition der Frömmigkeitsbewegung (pietas/Frömmigkeit) stehen und sich von den Landeskirchen abwenden. Säkularisierung, Entkirchlichung schlechthin sind Gefahren, denen die Freikirchen als eingeschworene Macht der Gemeinschaft entgegenwirken. Mit täglichem Gebet, allsonntäglichem Kirchgang, Gemeinschaftszwang und einem Hang zum fundamentalistischen Bibelverständnis bestärken sie der „reinen christlichen Lehre“ Anhänglichkeit, machen das „unter dem Wort Gottes stehen“ nach außen sichtbar und pinkeln in vornehm christlicher Arroganz den evangelischen Landeskirchen ins Fahrwasser einer „modernistischen Verweltlichung“. Und die Evangelikalen, Pietisten und anderen, die nur noch ihre Geschichte unterscheidet, sind im Kommen, wie der Anti-Kirchentag der freikirchlichen Gemeinden im Mai 1989 im Neckarstadion Stuttgart zeigte: „Auf zum Kampf!“ zwischentitelte ein Programm, ob in Anlehnung an einen ähnlichen Buchtitel, vermag ich nicht zu sagen.
Schwarz-Weiß-Weltsicht, in der der Teufel regiert, ist auch dem Guru der Jugendevangelisation in der DDR eigen: Theo Lehmann. („Viele Christen und Pfarrer sind so verweltlicht, daß sie nicht mehr glauben, daß es einen Teufel gibt.“) Wer sich seiner Jugendsünden erinnert, denkt vielleicht auch an die schwärmerische Zeit zurück, da er langhaarig und mit Jeansanzug nach Karl-Marx-Stadt trampte, dem Gesäusel des Theo ergeben lauschend, bis das Kommando „Bekenne Dich jetzt zu Jesus als Deinem Herrn!“ ertönte, um dann zum Altar zu trotten, wo Lehmann Hand auflegte.
Theo hat noch nicht dazugelernt, im Gegenteil: Er komplettiert die Intoleranz der Freikirchlichen mit der Würze des Anti-Sozialismus: „Vierzig Jahre Irrtum und Lüge“. Wie wenig einigen Freikirchlichen an konkreter Auseinandersetzung mit der Geschichte liegt, dafür gibt Lehmann gutes Beispiel: „Inzwischen hat der Sozialismus weltweit abgegessen. Jeder (!) sieht: Die sozialistische Theorie ist ein Irrtum (!), die sozialistische Praxis eine Katastrophe, der real existierende Sozialismus eine Lüge.“ Und so konnte Lehmann bereits Anfang Dezember '89 den „Nachruf auf die DDR“ schreiben, in dem er als Todesursache angab: „(Sie) litt an Atheismus ... An dieser - eigentlich heilbaren - Krankheit ist (sie) schließlich kurz nach (dem) 40. Geburtstag verstorben.“ Und der 55jährige Jugendevangelist läßt dennoch keinen Zweifel an den positiven, weil autoritären Zügen der verstorbenen DDR: „(Sie) liebte Ruhe und Ordnung ...“
Kirche ist nicht gleich Kirche und es sei gewarnt, wer jene Plakate, Anzeigen, Bücher und Redner, die in ihrem Jargon „Jesus“ führen, dahingehend einordnet: „Ach so, das kommt von der Kirche ... “
Gleiches gilt für Billy Graham, dessen PR-Manager einen breiten Werbefeldzug in den Ost-West-Medien veranstalten. Graham, der vor Jahren bereits in Westberlin „viele Menschen zum Glauben führte“ - damals noch als eingefleischter Anti -Kommunist - gilt als der Evangelist. Ob sein Auftritt wieder zu einem Happening der Evangelikalen wird, hängt wohl auch von der Ernsthaftigkeit seiner Wandlung ab, denn daß er vor Jahren der Sozialismus-Feindlichkeit abschwor und für ein Zusammenwirken mit den Ländern des Ostblocks eintrat, nahmen ihm die Evangelikalen nicht nur in den USA übel: Zu wenig biblisch argumentiere Graham gegenüber den politischen Verirrungen unserer Zeit, lauteteder Kommentar einer württembergischen freikirchlichen Zeitung.
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