Revolution, helau! - Der Leipziger Politmarkt

■ Die Demo kommt in Form / Junge Demokraten betrachten sie als Fossil aus ihrer politischen Kindheit

Sie wissen es, es kostete schon einige Mühe, die ursprünglich lebensgefährliche Leipziger Montagsdemo des 89er Herbstes in einen harmlosen, vergnüglichen Höhepunkt des internationalen Tourismus zu verwandeln. Einen ersten holprigen Versuch bei der Vermarktung der Demo wagte unsere HO im Januar, als sie zur besseren Versorgung der Teilnehmer und Zuschauer eine „Demo-Wurst“ feilbot. Welch kläglicher Einfall angesichts der riesigen Möglichkeiten, aus diesem Ereignis Kapital zu schlagen! Auch hier gilt: Ohne die Unterstützung unserer westdeutschen Freunde wäre der Durchbruch zur touristisch attraktiven Politshow in Leipzig wohl nicht gelungen.

Freilich kamen ihnen dabei ihre Landsleute zu Hilfe. So sorgen seit Januar zahlreiche echt-bayerische Reps und vereinzelte Westberliner Autonome für die Belebung der erlahmenden Umzüge - welch Segen für die Tourismus-Manager! Diese Aufwertung Leipzigs als Zentrum des Polit-Tourismus schuf aber sogleich ein neues Problem: die Leipziger Innenstadt belebt sich nun schon lange vor dem abendlichen Aufmarsch; die grünen Tupfer der Bereitschaftspolizei und Kampfgruppen, die die graue Stadt beleben und die Menge emotionell aufladen könnten, fehlen aber schon seit Oktober. Abhilfe kam schnell. So bereitete neulich ein Fakir die langsam zusammenströmende Menge auf den abendlichen Höhepunkt vor. Lange Flammen schossen aus seinem Munde und schürten die Lust auf's Heiserbrüllen bei der anschließenden Kundgebung. Eine andere Möglichkeit fand man im Polit -Sightseeing. Westdeutsche Reiseunternehmen druckten bereits die ersten „alternativen“ Stadtführer, die die Stätten der Revolution (die „Runde Ecke“, die Nikolaikirche und das ehemalige SED-Stadthaus) den aus Hannover, München oder Stuttgart herbeiströmenden Demo-Touristen anpreisen.

Ein-Tages- und Drei-Tage-Reisen nach Leipzig wurden so schnell zu Rennern im Reisegeschäft, und ein Besuch der Heldenstadt zählt inzwischen zu den Spitzenerlebnissen des internationalen Tourismus. Aufmerksame Beobachter entdeckten inzwischen auch schon reiche Amerikaner und Japaner mit ihren persönlichen Dolmetschern in der Montagsmenge. Auch am Abend mußte freilich einiges verändert werden, damit die internationalen Sendeanstalten unsere Montage so richtig aufwerten können. So wurden u.a. Kameratermine geschaffen, die das Bild aus dem revolutionären Leipzig so recht in Szene setzen. Die Bannerträger und Rufer erscheinen pünktlich. Wer wüßte denn nicht um die Bedeutung des ästhetischen Arrangements bei der Aufzeichnung einer Show?

Schwierigkeiten bereitet den Regisseuren noch ein wenig das Geschehen auf dem Balkon der Leipziger Oper. Von dort aus agieren zum Teil doch noch recht ungeschickte Redner. Mühsam beschreiben und erklären sie komplizierte Sachverhalte, die das ungeduldige Publikum schon nicht mehr zu erfassen bereit ist. Die linken und rechten Wortführer, von den Geheimnissen der Massenunterhaltung meist unbeleckt, scheitern so Montag für Montag vor ihrem Publikum, weil sie nicht begreifen, worauf es in einer Politshow wirklich ankommt. Die linken Redner gaben gottseidank frühzeitig auf, die auf der rechten Seite scheinen langsam die Showgesetze zu lernen. Bei ihnen passiert es ab und an, daß die im Besichtigungstempo an der Kundgebung vorbeifahrenden Sightseeing-Busse stoppen. Das ihren Bäuchen entströmende teure Publikum wird wenigstens für Augenblicke in deutsch-nationalen Taumel versetzt.

Den vorläufigen Höhepunkt der Leipziger Großveranstaltung setzte die Rosenmontagsdemo. Diesmal zeigten sich die Leipziger cleverer und kamen anderen zuvor - nicht der Mainzer oder Kölner, der Wahrener Karnevals-Club rief zum großen Umzug in Leipzig auf. Obwohl dieser - wohl zuwenig professionelle - Ruf nicht allzuviel Publikum in den Ring lockte, gelang es doch, den untalentierten Büttenredner auf dem Operbalkon mit Helau-Rufen zu überstimmen.

Michael Hofmann, Leipzig