: And now: Billy Graham
■ Superstar Evangelist vor dem Reichstag - geistliche Seelenmassage für 5.000
Nein, ein Happening wurde es nicht. Eine geistliche Kurkapelle übte zwar öffentlich schiefe Weisen, doch den richtigen Swing fanden nicht die 5.000, die trotz Regens gekommen waren, um Grahams Evangelisation mitzuerleben. Überhaupt fiel die ganze Chose ins Wasser, denn es strippte sich ein, noch bevor sich Billy in die Ohren der Menge einstrippen konnte. Die Kurkapelle beendete ihre Übstunde, die Köpfe verschwanden unter Regenschirmen und die Regenschirme glänzten feucht als ER kam: „Super-Star Evangelist“ scherte sich nicht um den halbleeren Platz, schmeichelte - er habe gar nicht so viele erwartet - und zeigte „Dem Deutschen Volk“ - eine Herde Schafe auf dem Reichstag-Acker - wie ein Besen Gottes kehrt. Graham hat darin Erfahrung: Mit 18 jobbte er als Vertreter von Bürsten und Besen, bevor er ans Florida Bible Institute ging. Dort beschloß er Evangelist zu werden. Er wäre mit seiner penetrant geistlichen Seelen-Massage ein anständiges Werkzeug Gottes geblieben, hätte ihn nicht William Randolph MedienMulti-Hearst erstmal zum Werkzeug seiner Meinungsmaschine gemacht. (because „Hearst... liked the way Graham preached both Christianity and anti-Communism.“) Das brachte ihm die nötige Knete, um ins Big Business einzusteigen (Haushaltsbudget 1980: ca. 20 Mio Pfund): mehr als 500 Angestellte im headquarter, 900 Radiostationen strahlen ihn wöchentlich in die Welt, eigenen Filmstudios steht er als special guest zur Verfügung, mindestens 15 Mio. Namen sind in seinen Computern gespeichert und werden mit Material beliefert. Über die nötige PR in Übersee wachen Vorbereitungskomitees der Evangelikalen, für die Technik sorgt eine eigene Crew: „Warum sollte moderne Technik, Massenmedien... der Teufel nur für sich haben? Warum sollte nicht Jesus Christus Zutritt zu ihnen haben?“, rechtfertigt Graham den Aufwand.
Graham genießt die Wirkung, die von seiner technisch aufgepowerten Stimme ausgeht wie jeder, der um die Suggestivkraft seiner Worte weiß. Fast eine Stunde unterhält er das Volk mit banalen Geschichten und Bekehrungserlebnissen. „The bible says...“ wiederholt er immer wieder, er interpretiert die Bibel aber nicht. „Intellektueller Selbstmord“ sagen die einen - „wahres, unverfälschtes Wort Gottes“ die anderen, die Rechtgläubigen. Appelle an altruistisches Verhalten („so selbstlos wie unser Herr Jesu“) lösen zustimmendes Kopf/Schirmnicken aus, vor allem bei freikirchlichen Groupies aus dem sächsischen Raum (wo die evangelikalen Hochburgen sind), zersetzt von vorsichtiger Kritik einiger Mutiger am Massencharakter der Veranstaltung.
Billy Graham bietet sich als Vater an. Was er da vor dem Reichstag vermittelt ist die süßsaure Mischung von Autorität und Versöhnlichkeit, patriarchaler Dominanz und gnädiger Annahme: Erinnerung also an eine Zeit, in der der eigene Vater seine Liebe und Zuwendung an das Erfüllen autoritär bestimmter Normen gebunden hatte. Und gerade dieses „Kindgefühl“ von Autoritätshörigkeit und masochistischer Reue wird hier vorausgesetzt. Kindlicher Einsicht - „Ich bin ein böses Kind“ - entspricht die evangelikale - „Ich bin ein ganz schlimmer Sünder“. Graham befreit von diesem schlechten Gewissen: in väterlicher Güte verteilt er Zensuren: die guten für Selbstlosigkeit, tägliches Bibellesen, Liebe und Fürsorge - die schlechten für das ganze Spektrum sexueller, moralischer Deviationen, Wissenschaftsgläubigkeit und Atheismus. Es ist ein einfaches Wertesystem, das zwar an der Realität, der Vielfaltigkeit des Lebens vorbeigeht, ihm aber wenigstens eines voraushat: Orientierung. Eigene Meinungsbildung, Suche nach Orientierung im Leben, was oft verbunden ist mit dem Verlassenheitsgefühl in der Welt, ersetzt Graham durch sein Wertesystem, und die Übernahme dessen sichert Geborgenheit, Aufgehobensein in der großen Gemeinschaft der evangelikalen Szene: „Herdenmentalität“, die den Führer braucht. „Das brauchen die Leute... weil die motiviert werden müssen. Die schlafen sonst ein“, sagt ein K.-M.-Städter, der den Rücken seiner Frau gerade als Schreibpult nutzt. Auf ihm füllt er die Billy-Graham -Antwortkarte aus, die im safer verpackten Plastiktütchen zusammen mit anderen Bekehrungsschriften unter die Meute gebracht wurde und ihm die Zusendung weiterer „Informationen für ein Leben als Christ“ verspricht.
Damit ist - Gott sei Dank! - das Ende erreicht und Billy Graham steigt nach getaner Arbeit in die dunkelblaue Limousine, vom Leibwächter beschützt (oder war es der Heilige Geist?), während die Herde nach Hause tippelnd über Wetter und Welt flucht.
Jörg-D. Gemkow
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