: Marktwirtschaft und Lambada-Tanzen
■ Modrow versteht wohl mehr von der Wirtschaft, als eine Kuh vom Lambada-Tanzen Leistungsfähige Marktwirtschaft ist entscheidend für eine deutsch-deutsche Vereinigung
Anfang Februar beschloß die Regierung Modrow mit ihrem Programm zur Wirtschaftsreform den „radikalen, schnellen Übergang von der Kommunalwirtschaft einer zentristischen Direktivplanung zu einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft“. Dieses Programm ist beredter Ausdruck dafür, daß Herr Modrow offensichtlich von der Wirtschaft bedeutend mehr versteht, als „die Kuh vom Lambada-Tanzen“, wie es Herr Rolf Henrich vom Neuen Forum meinte, kürzlich im Deutschlandfunk zum besten geben zu müssen. Und Herrn Kohl sei gesagt, daß es sowohl für die DDR aber auch für ein künftiges Deutschland nicht unwesentlich ist, was von Modrow und seiner Übergangsmannschaft (mit Opposition) der neuen Regierung nach den Wahlen am 18. März übergeben wird.
Mir scheint, dieses Programm der Wirtschaftsreform ist das konkreteste, was gegenwärtig zu diesem Thema auf dem Tisch liegt, wenn ich mal von den noch „unkonkreten“ Forderungen des Herrn Ebeling (DSU) absehe, der bekanntlich in der BRD „ein großes Land mit 16 Millionen Einwohnern“ einbringen will und sonst nichts. Und dazu sind Reformen selbstredend überflüssig.
Aber wenden wir uns den Fakten zu. Ziel des Reformbeschlusses des Kabinetts Modrow ist eine leistungsfähige Marktwirtschaft, die der demokratische Rechtsstaat durch ökonomische Methoden, rechtlicher und anderer Rahmenbedingungen im Interesse wachsender gesellschaftlicher Effektivität, gemeinnütziger Zwecke, ökologischer Erfordernisse und sozialer Gerechtigkeit reguliert, bei chancengleichen Entwicklungsbedingungen für alle Eigentumsformen. Statt dirigistischer Weisungen des Staates wird selbständige Unternehmenführung unter Wettbewerbsbedingungen verlangt. Schon diese Zielformulierung unterstreicht den radikalen und endgültigen Bruch mit dem System der alten stalinistischen Planwirtschaft.
Das ist eine der entscheidensten Bedingung für eine deutsch -deutsche Vereinigung mit so wenig wie möglich sozialen Negativfolgen. Die Chance, die Wirtschaftsreform ohne soziale Spannungen zu durchlaufen, besteht für die Programmverfasser darin, daß die DDR-Wirtschaft über entwicklungsfähige materiell-technische Grundlagen, über gut ausgebildete Arbeitskräfte, über einen hohen Eigenversorgungsgrad an landwirtschaftlichen Erzeugnissen verfügt und in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist. Das in Verbindung mit der Wirtschatsunterstützung mit der BRD sollte, so die Verfasser, den Erfolg garantieren.
Nun ist aber die Zeit heute äußerst schnellebig. Von der im Dezember 1989 seitens des Bundeskanzlers versprochenen Wirtschaftshilfe sind nicht einmal Worte geblieben, das Gewerkschaftsgesetz von den BRD-Industriellen als „Investitionsbremse“ abqualifiziert usw. usw.
Man will nun offensichtlich alles daran setzen, eine Vereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetztes zu vollziehen, was ja dann die Wirtschaftsreform in der DDR insofern überflüssig macht, als daß die Betriebe von den Konzernen nur noch übernommen werden brauchten.
Aber es gibt weitere Momente, die die Wirtschaftsreform erschweren. Der Übergang zur Marktwirtschaft verlangt eine völlig neue Art, Betriebe zu leiten. Management, Marketing, Konkurrenzkampf - darauf sind die Leitenden in der Wirtschaft, die alle ausnahmslos unter der Kommandowirtschaft im „realen Sozialismus“ groß geworden sind, überhaupt nicht eingestellt.
Was sich gegenwärtig in einigen Betrieben abspielt, läßt ahnen, was
da auf uns zukommt, wenn der Übergang abrupt, ohne Eingewöhnungsphase erfolgt. Die Planwirtschaft hatte für viele Betriebe einen immensen Vorteil: Der Absatz der Erzeugnisse war grundsätzlich garantiert, unabhängig von Qualität, Effektivität oder gar Weltmarktfähigkeit. Und nun? Jetzt wird mit der geforderten Trennung von Staat und Wirtschaft ernst gemacht. Die Betriebe müssen selbst Entscheidungen treffen und auch verwirklichen. Wenn das ohne Augenmaß und in Verbindung mit einer Währungsunion kurzfristig radikal durchgesetzt wird, dann sehe ich tatsächlich Gefahren für fast die Hälfte der Betriebe. In der Marktwirtschaft gelten nun mal die Marktmechanismen ohne Wenn und Aber. Angebot und Nachfrage bestimen über die Preise der Erzeugnisse und sollen die günstig ausfallen, erfordert das höchste Effektivität und Flexibilität in der Produktion, worauf die große Mehrzahl der DDR-Betriebe in keinster Weise eingestellt sind. Mit der Währungsunion werden die Betriebe zweifellos dem BRD- und EG-Markt schonungslos ausgeliefert. Bei dem bestehenden Produktivitäts und Qualitätsgefälle hat ein Großteil unserer Produkte dann keine Chance auf dem Markt. Das bedeutet Konkurs, ein sprunghaftes Ansteigen der Arbeitslosenzahlen. Es gibt dazu auch gar keine wirksame Alternative, den irgendwann wäre dieser Einbruch ohnehin auch unter den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft erfolgt. Alleine die auf 58 Millionen Mark angestiegenen Subventionen und der enorme Kaufkraftüberhang mit einem jährlichen Zuwachs von zwei bis drei Prozent waren eine Zeitbombe.
Mehr als zweifelhaft ist, ob die neue DDR-Regierung bis Ende Juni/Anfang Juli 1990 gelingt, bis zu dem in Insider -Kreisen als sicher geltenden Termin für die Währungsunion das erforderliche soziale Netz zu spinnen.
Weil in diesem Zusammenhang immer auf das BRD-Netz verwiesen wird, sei daran erinnert, daß in der BRD je Hunderttausend Arbeitslose jährlich 640 Millionen DM aufgewendet werden. Wo aber diese Mittel hernehmen? Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir nun schon keine andere Wahl zum Wirtschaftssystem haben, es dann nicht so schnell wie möglich, sondern so schnell wie nötig einzuführen, damit der Acker erst bestellt wird, bevor geerntet werden soll?
Da? Zusammenwachsen den Vorrang zu Zusammenraufen hat, gebietet schließlich aich die ökonomische Vernunft.
Wenn wir sie also wollen - die Marktwirtschaft - dann zählen knallharte Fakten. Das „sozial“, das so gerne vorausgesetzt wird, ist nicht ein Ergebnis der wirtschaftstätigkeit selbst, sondern muß hart erstritten werden. Die BRD ArbeiterInnen haben 40 Jahre gekämpft und gearbeitet für das heutige Niveau ihres sozialen Netzes ge
schenkt hat es ihnen keiner.
Schenken wird amn den DDR ArbeiterInnen auch nichts. Von diesem Traum hat uns der „Möchtegern-Kanzler aller Deutschen“ bereits befreit.
Wolfgang G. Kohrt
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