: Aufrufe zur Demonstration gegen „Wahlbetrug“
■ Proteste gegen 2:1-Kurs in der Republik / Auch DDR-Staatsbank dagegen
Berlin (ap/afp) - Der Dachverband der DDR-Gewerkschaften (FDGB) hat wegen der Bonner Pläne für einen Umtauschkurs von 2:1 für heute zu einer landesweiten Demonstration gegen Sozialabbau aufgerufen. „Wir konnten uns vor Briefen und Anrufen kaum retten“, so die stellvertretende FDGB -Vorsitzende Karin Schießl. Auch ein Streik in der kommenden Woche werde nicht ausgeschlossen. Erste Warnstreiks gab es bereits am Montag bei der Post im Bezirk Suhl.
An die Volkskammer, die am Donnerstag erstmals zusammentritt, appellierte der FDGB, bei den anstehenden Verhandlungen die Interessen der 16 Millionen DDR-Bürger zu vertreten, die durch einen Kurs von 2:1 schamlos mißachtet würden. Der FDGB will bei seiner Kampagne gegen den Bundesbank-Vorschlag auch mit dem bundesdeutschen DGB zusammenarbeiten. Wenn die DDR zum Billiglohnland Europas würde, so schade dies auch den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik, erklärte Frau Schießl.
Auch das Direktorium der DDR-Staatsbank hat sich für eine Umstellung aller Einkommen und Spareinlagen von DDR-Mark auf D-Mark im Verhältnis 1:1 ausgesprochen. Kredite und Guthaben im Bereich der Wirtschaft sollen dagegen im Verhältnis 2:1 umgestellt werden. Das Direktorium warnte vor einer breiten Abwertung von Sparguthaben. Dies wäre mit „unzumutbaren sozialen Auswirkungen“ verbunden. Bei größeren Sparguthaben hält die Staatsbank zeitliche Sperrungen für denkbar, um Kaufkraftschübe zu vermeiden. Auch eine Umstellung von Löhnen, Gehältern und anderen Einkommen sei nur im Verhältnis 1:1 annehmbar. Durch die Einkommensunterschiede im Vergleich zur BRD existiere beim Wegfall von Subventionen und anderen sozialen Ausgleichszahlungen bereits jetzt ein Gefälle von mindestens 2:1. Jede weitere Senkung würde die Leistungsmotivation der DDR-Bürger und das Realeinkommen der DDR-Bürger mindern. Bei der Festlegung der Umstellungsverhältnissse für die Wirtschaft will die DDR -Staatsbank jedoch einen niedrigeren und für die Betriebe günstigeren Kurs von etwa 2:1. Ein solches Verhältnis müsse zusammen mit Kostensenkungen und Qualitätsverbesserungen zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beitragen.
Die Grüne Partei schließt sich dem Aufruf des FDGB zu Demonstrationen am 5. April, 17.00 Uhr, für einen Umtauschkurs von 1:1 und gegen Wahlbetrug an. Auch die GRÜNE LIGA ruft alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich an den gemeinsamen Protestkundgebungen am 5. April zu beteiligen. Die junge Demokratie sei so konsequent zu verteidigen, wie sie errungen wurde. Die 600.000 Mitglieder der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst seien aufgerufen, sich aktiv an den landesweiten Demonstrationen für eine sozial gerechte Währungsunion zu beteiligen, teilt die Gewerkschaft in einer Presseinformation mit.
Koalitionsgespräch am Donnerstag
Unter Leitung von Bundeskanzler Helmut Kohl werden führende Politiker von CDU/CSU und FDP an diesem Donnerstag zu einem Gespräch zusammenkommen, um einen offenen Bruch in wichtigen Fragen der Währungsunion zu verhindern. Dieser Termin wurde bei beiden Koalitionspartnern am Dienstag auf Anfrage bestätigt.
Vor allem geht es darum, Fragen des Umstellungskurses und der damit verbundenen Perspektiven für die Bürger in der DDR zu klären, nachdem FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff erklärt hatte, die FDP werde unter keinen Umständen den Vorschlag der Bundesbank akzeptieren, Sparguthaben in der DDR bei Umstellung auf D-Mark nur bis zum Betrag von 2 000 Mark pro Kopf im Verhältnis 1:1, den Rest 2:1 zu tauschen.
CDU-Generalsekretär Volker Rühe bestätigte im Deutschlandfunk, daß es „im Laufe dieser Woche Kontakte geben“ werde. Er betonte zwar, es gebe nach den Bundesbank -Empfehlungen eines generellen Umtauschkurses von 2:1 auch bei den Löhnen und Renten noch keine Entscheidungen, verwies aber indirekt auf die Probleme eines Umstellungskurses von 1:1, den die FDP bei den Löhnen wegen zu hoher Belastungen der DDR-Betriebe ablehnt. Wörtlich sagte Rühe zur FDP -Kritik: „In der FDP gibt es im Kern hier dieselben Überlegungen.... Wenn Sie sich den FDP-Wirtschaftsminister anschauen, wenn Sie sich Lambsdorff anschauen, auch die wissen ganz genau, daß bei einem falschen Umstellungskurs es keine Chance gäbe für die Arbeitsplätze in der DDR.“
Rühe betonte erneut, daß es sich bei den Bundesbank -Vorschlägen nur um Empfehlungen handele.
Entscheidend sei die Regierungsbildung in Ost-Berlin, so daß dann bis Ende des Monats möglichst die gemeinsamen Vorstellungen erarbeitet werden könnten. Bis zum Sommer solle die Währungsunion verwirklicht sein.
Die niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel sagte im Deutschlandfunk, kurzfristig gehe es um Lösungen, die „die Sparer und Rentner in der heutigen DDR sozial vernünftig absichern“. Ob das mit einem vernünftigen Umtauschkurs oder über Zuschläge geregelt werde, sei nicht entscheidend. Wichtig sei vor allem, daß Inflation und damit Kaufkraftverluste der Bundes- und DDR-Bürger verhindert würden. Kurzfristig müsse die Bundesregierung einen Vorschlag präsentieren, der die folgenden Punkte beinhaltet: soziale Absicherung der Sparer und Rentern und das Angebot an die Tarifpartner, über die Löhne zu entscheiden. Die Entscheidung über Löhne zu einem falschen Kurse hätte Arbeitslosigkeit zur Folge.
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