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Angeschlagene Thatcher schlägt zurück

Londoner Regierung zwingt Labour-Lokalverwaltungen zu Budgetkürzungen / Opposition wird Schwarzer Peter in Sachen Kopfsteuer zugeschoben / Womöglich könnte Maggie noch Früchte der Inflationsbekämpfung ernten  ■  Aus London Ralf Sotscheck

Die britische Regierung griff am Dienstag tief in die Trickkiste, um den durch die Kopfsteuer angerichteten Popularitätsverlust zu begrenzen. Umweltminister Christopher Patten kürzte die Kopfsteuer in 20 Bezirken, weil die Lokalverwaltungen angeblich verschwenderisch mit den Steuergeldern umgehen. Dank einer geschickten Festlegung der Kriterien traf es keinen einzigen Bezirk, in dem die Tories regieren. Der Labour-Abgeordnete Tony Banks: „Das ist eine der zynischsten Übungen, die ich jemals in diesem Parlament gesehen habe.“

Patten will mit Hilfe dieser eigenwilligen Arithmetik den Eindruck erwecken, die Labour Party sei schuld an der hohen Kopfsteuer. Paradebeispiel der Tories ist eine Straße in Süd -London. Die Bezirksgrenze verläuft genau in der Straßenmitte, wo die BewohnerInnen auf der linken Seite im Tory-Bezik 148 Pfund zahlen, während gegenüber im Labour -Bezirk die Steuer 547 Pfund pro Kopf beträgt. Der Unterschied reflektiert jedoch keineswegs die tatsächliche Ausgabenpolitik. Gerade in den innerstädtischen Bezirken ist die Kopfsteuer besonders hoch, weil dort eine größere Abhängigkeit von Sozialleistungen als in ländlichen Gebieten besteht. Und viele Bezirke greifen in diesem Jahr - einem Wahljahr - auf Ersparnisse und Kredite zurück, um die Sozialdienste trotz niedriger Kopfsteuer aufrechtzuerhalten.

Doch das Debakel bei den Lokalwahlen am 3.Mai werden die Tories nicht verhindern können. Die Kopfsteuer wird von den WählerInnen als Erfindung Thatchers gesehen. Die Bevölkerung hat erbost vernommen, daß die Premierministerin dank der Kopfsteuer 2.000 Pfund weniger zahlen muß als nach dem alten Abgabesystem, das auf Hausbesitz basierte. Thatcher hatte die Kopfsteuer als „Flaggschiff“ ihrer dritten Amtsperiode bezeichnet. Das Flaggschiff jedoch hat sich als leckgeschlagene Titanic entpuppt. Es ist zum Brennpunkt der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der Regierung geworden. Hohe Inflation und Zinsraten bei sinkendem Lebensstandard haben zu einer Regierungskrise geführt, die bislang als „normaler Mid-term-Blues“ abgetan wurde.

Doch die heftige Opposition gegen die Kopfsteuer hat den Glauben vieler konservativer Abgeordneter daran erschüttert, daß sich die Regierung aus dieser Krise befreien kann. Sie fürchten um ihre Pöstchen nach den nächsten Wahlen. Viele Bezirksräte sind freiwillig zurückgetreten, um nicht mit der Steuer ihrer Parteichefin identifiziert zu werden. Thatchers Sessel ist nicht nur von Michael Heseltine, dem Kandidaten der Mitte, bedroht, sondern seit letzter Woche auch von Norman Tebbit, dem authentischsten Vertreter des Thatcherismus. Eine offene Herausforderung ist jedoch unwahrscheinlich, weil beide Kandidaten wissen, daß Thatcher in dem Fall mit der Solidarität der - wenn auch nur knappen

-Mehrheit der Hinterbänkler rechnen kann. Und eine zweite Chance erhält niemand. Überdies wäre eine Parteispaltung vor den Wahlen verheerend.

Sollte Thatcher den Parteitag im Herbst überstehen, hat sie noch einige Trümpfe in der Hinterhand. Falls der ökonomische Kreislauf nach Plan verläuft, wird die Inflation im Frühjahr 1991 auf fünf Prozent sinken. Dann könnten auch die Zinsraten gesenkt werden, was in den sechs bis neun Monaten vor den Wahlen zu einem Wachstum der Nachfrage und des Lebensstandards führen würde. Außerdem hat Thatcher den Vorteil, daß sie den Zeitpunkt der Wahlen bestimmen kann, solange er vor Juni 1992 liegt. Langfristig hofft die Regierung, daß die Bezirksverwaltungen aufgrund der Kontrolle durch die WählerInnen zu Ausgabenkürzungen gezwungen werden. Um diese Kontrolle zu verschärfen, will Patten jährliche Lokalwahlen einführen. Etatkürzungen können die Verwaltungen jedoch nur vornehmen, wenn sie zahlreiche Staatsdienste privatisieren und damit zu Erfüllungsgehilfen des Thatcherismus werden. Dann könnte die Kopfsteuer schließlich auf ein Niveau gesenkt werden, das niemandem mehr wehtut.

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