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Chance der Volkskammer

Größer könnte der Kontrast kaum sein: Während der in Bonn erarbeitete Entwurf eines Staatsvertrags der DDR praktische alle Souveränitätsrechte im Bereich der Wirtschaftspolitik nimmt, erhebt der Verfassungsentwurf des Runden Tisches den Anspruch auf eine staatliche Eigenständigkeit auch in einer Übergangsphase zur Einheit.

Ganz selbstverständilich geht der Verfassungsentwurf in den Absätzen „Funktionen des Staates“ und „Die Staatsfinanzen“ davon aus, daß das Währungs-, Geld- und Münzwesen, die Zoll und Steuerhoheit oder die Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaft in die alleinige staatliche Kompetenz fällt. Im Staatsvertrag weist demgegenüber der BRD die Hoheit über das Währungs-, Kredit-, Geld- und Münzwesen zu; in diesem Bereichen wie auch auf dem Gebiet der Sozial- und Steuerpolitik sollen die bundesdeutschen Gesetze übernommen oder die Bestimmungen der DDR angegleichen werden. Unikum am Rande: Bei der Verwirklichung der Währungsunion sollen die kleinen DDR-Münzen zu ihrem Nennwert gültig bleiben. Obergrenze wird wahrscheinlich das Ein-Mark-Stück. Da kann der künftige Finanzminister - und nicht nur er - eine ruhige Kugel schieben.

Auch in der Frage der Einheit beider deutscher Staaten beschreiten die Entwürfe unterschiedliche Wege (vgl. Text auf dieser Seite). Die neue Verfassung favorisiert die Vereinigung über den Weg einer gesamtdeutschen Verfassungsgebenden Versammlung, regelt aber auch die Bedingungen, unter denen gegenbenenfalls ein „Anschluß“ vollzogen werden könnte. Die Bonner Regierung beharrt jedoch nach wie vor einzig und allein auf dem zweiten Weg. Dies soll in der endgültigen Fassung des Staatsvertrages noch deutlicher herausgestellt werden: Bundesfinanziminister Theo Waigel (CSU) erklärte am Donnerstag, in einer Präambel des Vertrags solle Bezug auf Artikel 23 des Grundgesetzes (den Anschlußparagraphen) genommen werden. Damit würden beide Seiten Seiten im Falle einer Einigung zum Ausdruck bringen, daß die DDR der Bundesrepublik mit ihren Gesetzen beitreten will.

Die Bonner Direktive für die neue DDR-Regierung soll nach dem Willen Waigels et cetera möglichst schnell umgesetzt werden. Der Bonner Finanzminister diktierte vorgestern den Terminplan gleich noch mit: Nach der Regierungsbildung soll es zu einem ersten Kontakt zwichen Kanzler Kohl und seinem neuen Amtskollegen kommen; nach Ostern, spätestens nach dem 17. April, sollen die Verhandlungen beginnen und der Staatsvertrag bereits Ende April unter Dach und Fach sein. Für das Ausarbeiten eigener Positionen, eine Vorraussetzung für Verhandlungen im eigentlichen Sinn des Wortes, bleibt da kein Spielraum.

Man darf gespannt sein, wie sich die neue Volkskammer im Spannungsfeld zwischen dem Bonner Staatsvertrag und der neuen Verfassung verhalten wird. Es ist ihre erste und vielleicht auch ihre einzige Chance, zu verhindern, daß die DDR quasi mit fleigenden Fahnen zur BRD überläuft.

b.s.

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