: Von Schwertern zu Pflugscharen
■ Mitglieder des Runden Tisches legen ihren Entwurf zur DDR-Verfassung vor / Übergangsverfassung wie das Grundgesetz, aber mit weitergehenden Artikeln / Schutz der Umwelt wird verankert
Pünktlich zur Konstituierung der neuen Volkskammer legte die Arbeitsgruppe „Neue Verfassung“ des Runden Tischs ihren Verfassungsentwurf vor. Ein zeitlicher Zusammenhang, der nicht nur symbolisch ist, sondern eine politische Willenserklärung und das eigentliche Vermächtnis des Runden Tisches an die Volkskammer darstellt.
Die frischgebackenen Abgeordneten haben nun die Chance, im Spannungsfeld zwischen dem Verfassungsentwurf und dem Bonner Staatsvertrag Position zu beziehen und ihr erste große politische Herausforderung anzunehmen - die vielleicht zugleich ihre letzte ist. Die Bundesregierung diktiert der neuen DDR-Regierung den Termin-Plan gleich mit, in dem durchsichtigen Interesse, ebendies zu verhindern.
Vereinbar sind beide Entwürfe nicht: Während Bonn der DDR ihre Souveränität im wirtschaftlichen Bereich nehmen will, ist diese in der Verfassung, wie es sich für einen eigenständigen Staat gehört, ganz selbstverständlich festgeschrieben.Der Verfassungsentwurf ist damit eine ernstzunehmende Gegenposition zum bundesdeutschen DM -Nationalismus.
Der Verfassungsentwurf sollte, so Klaus Wolfram vom Neuen Forum, das „eigentliche Vermächtnis des Runden Tischs sein“. Wolfgang Ullmann, Minister ohne Geschäftsbereich, hofft, daß der Verfassungsvorschlag im Zentrum der Volkskammerdebatten der nächsten Monate stehen könnte. Er meint, daß im Parlament eine Mehrheit durch alle Parteien hindurch sich finden lasse, diese Verfassung „vorläufig“ in Kraft treten zu lassen, um dann einen Volksentscheid vorzubereiten. Der 17. Juni ist als Datum für den Volksentscheid vorgeschlagen.
Der Entwurf beginnt wie das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Er hat auch wie das Grundgesetz einen transitorischen Charakter. Verfassungen sind üblicherweise ewig - jedoch das Grundgesetz und der neue Entwurf enden mit Schlußbestimmungen, die die Geltungsdauer begrenzen. Das Grundgesetz kommt hier mit einem Artikel aus (Art.146), während der Entwurf zehn Artikel für die Übergangs- und Schlußbestimmungen hat . Das reflektiert die problematische Situation, in der sich die Autoren gegenwärtig befinden. Die Verfassung mußte mehreren politischen Forderungen gerecht werden, ohne selbst in Form von Verfassungsgrundsätzen Politik zu machen. Im Staatsziel (Artikel 41,2) ist die „Herstellung der Einheit der beiden deutschen Staaten“ festgelegt. Der Entwurf selbst formuliert den Anspruch, daß allein eine verfassunggebende Versammlung ein legitimer Weg zur deutschen Einheit sein kann. Im Schlußartikel 138 heißt es: „Diese Verfassung verliert ihre Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von einer gesamtdeutschen Verfassungsgebenden Versammlung beschlossen ist.“
Beitritt zur BRD nur
mit Volksentscheid
Aber die Autoren sahen sehr wohl die Gefahr, daß der Entwurf als parteipolitisches Dokument gegen diejenige Fraktion benutzt werden könnte, die den BRD-Beitritt nach Artikel 23 Grundgesetz durchsetzen will. Insofern sind auch Bestimmungen vorgesehen, die beabsichtigen, einer „beschleunigten Angleichung“ beider deutscher Staaten (Art.134) eine verfassungsrechtliche Grundlage zu geben. Dieser Artikel schreibt im Falle eines „Beitritts“ zur BRD „Vereinbarungen“ vor, die wiederum durch zwei Dritteln der Mitglieder der Volkskammer und einen Volksentscheid (134, 1 und 2) bestätigt werden müssen.
Als Verfassungsauftrag für diese „Vereinbarungen“ ist im Artikel 133 festgelegt, daß die Ergebnisse der Bodenreform und die Eigentumsbeziehungen hinsichtlich der Verfassung von 1949 „unantastbar“ sein sollen. Insofern ist dieser Entwurf ein verfassungsgeschichtlicher Beitrag, der Ungewöhnliches regelt: Er formuliert verfassungsrechtliche Grundlagen für eine hi
storische Übergangszeit und gleichzeitig für einen Staat, der sich im Prozeß der deutschen Einigung auflösen soll. Es ist der DDR-Beitrag zur Verfassungsgebenden Versammlung und der kodifizierte Anspruch auf den Rang eines Verfassungsstaates.
Ein plakatives Element der neuen Verfassung ist sicherlich die Definition des neuen Staatswappens: „Von Schwertern zu Pflugscharen.“ Aber das ist nicht nur ein Symbol. Die Verfassung bezieht ihre Legitimation ausdrücklich aus den Auseinandersetzungen der jüngsten Geschichte. In der Präambel heißt es: “...Gründend auf der revolutionären Bewegung ... geben sich die Bürgerinnen und Bürger diese Verfassung.“ Der Geist der Verfassung soll den Autoren zufolge nicht nur die Demokratisierung kodifizieren; es sollen auch die Erfahrungen beider Diktaturen eingearbeitet werden. Der Menschenrechtskatalog ist darum weitaus präziser und umfangreicher als der des Grundgesetzes. Er umfaßt vierzig Artikel; das Grundgesetz hat neunzehn.
Gleichstellung der Frauen
Dieser Entwurf ist insofern moderner, als er Menschenrechte sehr viel konsequenter anhand von Minderheitsrechten definiert. Die Rechte der Alten, der Kinder, der Behinderten werden ausgeführt. Die „Gleichstellung“ der Frauen herzustellen ist ein streng definierter Auftrag an den Gesetzgeber. Der Menschenrechtskatalog reflektiert die Ungleichheit der Menschen aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse. Das „Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung“ wird festgeschrieben. Das Streikrecht gehört zu den Grundsätzen, ebenso wie es ein verfassungsmäßiges Verbot für Aussperrung gibt (Artikel 39).
Bestimmte Erfahrungen aus der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik sind aufgenommen worden: Das Verbot verfassungsfeindlicher Parteien wird äußerst einschränkend geregelt. Die Parteien müssen „systematisch und nachhaltig in ihrer Programmatik die Menschwürde angreifen oder in ihrer Tätigkeit gegen die Grundsätze eines offenen und gewaltlosen politischen Willensbildungsprozeß verstoßen“, um von einer Wahl ausgeschlossen und verboten zu werden. Allerdings nur dann, wenn es keine anderen Möglichkeiten des politischen Willensbildungsprozesses gibt, um diese Gefahren abzuwehren. Ein Verbot muß durch das Verfassungsgericht erfolgen und „ist in seiner Wirkung zeitlich zu begrenzen“ (Artikel 37,4). Ebenso wird die politische Verfolgung verboten: Einschränkungen des Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnisses sind „nur zum Zwecke der Bekämpfung schwerer organisierter Kriminalität zulässig“.
Ein weiterer bedeutender Unterschied zum Grundgesetz sind die plebiszitären Elemente. Der Volksentscheid hat Verfassungsrang. Es gibt auch kein Parteienprivileg nach
Artikel 21 des Grundgesetzes. Nach Artikel 37 sind die Parteien nur „gleichberechtigt“ an der politischen Willensbildung, während die „Bürgerbewegungen“ ausdrücklich erwähnt werden.
Gleichermaßen unterscheidet sich der Entwurf vom Grundgesetz durch ausführliche Artikel zum Umweltschutz. Es ist „Pflicht des Staates“, die Umwelt als Lebensgrundlage für die künftigen Generationen zu erhalten. Wird diese Verfassungsbestimmung für das vereinte Deutschland übernommen, sieht die Industrie schweren Zeiten entgegen. Für schutzwürdig hält der Entwurf auch die öffentlich -rechtlichen Medien. Ein letzter Unterschied zum Grundgesetz: Im Artikel 34 wird der Staat verpflichtet, die „Interessen der Sorben“ zu fördern und zu achten.
Klaus Hartung
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