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„Holzauge sei wachsam“

■ Betr.: S.S.Z. über „Therapeutisches Deutschinnengewurzel, taz vom 31.3.90

„Holzauge sei wachsam“ hat sich Sybille Simon-Zülch offensichtlich gesagt, als sie bei der Frauenwoche meinen „Blick zurück“ (Veranstaltungstitel) auf das nationalsozialistische Erbe der deutschen (Groß-) Elterngeneration folgte. Das Holzauge wurde fündig. Um die in ihrer giftig-wütenden Anklage- und Urteilsschrift unterlassene Tatsachenfeststellung nachzuholen: Meine Veranstaltung hatte „das große Schweigen“ (Buchtitel von Gabriele v. Arnim) zum Gegenstand, das - im Gegensatz zu der zunehmenden öffentlichen Beredtsamkeit der letzten Jahre noch immer in den Familien in bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus herrscht. Denn wenn wir wollen, daß die unterschlagene, umgedeutete und umgelogene Vergangenheit unser Groß-Eltern nicht unbegriffen fortwirkt, müssen wir sie zum Thema machen, auch in uns. Darum ging es - am Beispiel der Geschichte meiner Mutter - in der Dia -Erzählung, die etwa ein Drittel der Veranstaltungszeit in Anspruch nahm. „Nabelschau“ empört sich S.S.Z. und ergießt in mehreren taz-Spalten ihren antifaschistischen Zorn über mich, dessen Berechtigung sie mit eigenwillig tendenziös zusammengestellten Halbzitaten sowie nicht vorgelesenen Gänsefüßchen untermauert. So läßt sie bei dem abschließenden Zitat über die Juden in Tallin weg, daß ich von den deutschen Besatzern sprach, die während des Krieges Estland „judenfrei“ machten - ein Zusammenhang, in dem die leider nicht explizit gemachten Anführungszeichen einer aufmerksamen Zuhörerin hätten deutlich machen müssen. Auf diese Weise ruckzuck als Faschistin entlarvt, lande ich außerdem in S.S.Z. „Seele-Wurzel-Ganzheits„-Schublade für Therapeutinnen: Schließlich gehe ich wahrhaftig den seelischen Gesetzmäßigkeiten des Generationserbes nach und nehme einmal in einer deutlich als Zitat meiner Mutter erkennbaren Passage das Wort „Wurzeln“ in den Mund; die „Ganzheit“ gibts dann gratis dazu - ich jedenfalls habe dieses Wort nicht benutzt, weil ich daran, wie S.Z. nicht glaube. Trotzdem, oh Schreck, ich bin von antifaschistischen Pfad der Tugend abgekommen, habe von „alter Heimat“ gesprochen, ohne unverzüglich den revanchistischen Geist in solchen Worten zu brandmarken, und von meiner nationalsozialistisch begeistert aktiven Mutter, ohne mich sogleich in aller Schärfe von ihr loszusagen. Kurz und gut: Ich weigere mich, mich aus der Geschichte zu schleichen und mir eine unbelastete Identität zu basteln wie die Frau, die mir von S.S.Z. als lobenswertes Vorbild vorgehalten wird. Stattdessen bestehe ich auf diesem unrühmlichen Erbe als Teil meiner Identität.

Allerdings. Denn wenn wir Kinder und Enkel der Nazi -Generation die Geschichte des Unterschlagens und Umlügens nicht fortsetzen wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als dieses Erbe als unseres bewußt zur Kenntnis zu nehmen - was nicht heißt, es gutzuheißen, und was auch nicht heißt, uns damit als Opfer unserer Nazi(Groß) Eltern zu gerieren. Und obwohl das denunziatorische und hektisch -aufgeregte „Schuldig„-Urteil der S.Z. geschickt in die Kerbe des (berechtigten) Selbstmißtrauens des kritischen Teils der Nachkriegsgeneration trifft und geeignet ist, die bestehenden Fühl-, Wahrnehmungs-, Denk- und Fragehemmungen zu stabilisieren, sehe ich ihre Reaktion vor allem als Beweis für die Dringlichkeit der von mir thematisierten persönlichen Auseinandersetzung mit dem Erbe der TäterInnen. Die in der Veranstaltung genannten Bücher können vielfältige Anstöße geben, wenn sie mit wachsamen, offenen Augen gelesen werden.

Birgit Lindberg

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