: Frühlingshimmel nachts
■ Blick in die Sterne im Bremer Planetarium / Himmel für jeden Kapitän
Die Stunde des Sonnenuntergangs näherte sich, und Galilei schritt die Stufen zur Dachkammer hinauf. Durch die Luke fiel das schon leicht rötliche Licht, er kniff die Augen zusammmen und musterte die Wolken. Diese Nacht würde es Schnee geben, und wo Schnee vom Himmel fällt, ist kein Stern zu sehen. Drei Jahrhunderte später erscheint im Bremer Planetarium, was Galilei in dieser Nacht nicht zu sehen bekam. Zwei erleuchtete Kugeln in der Mitte und ein verborgenes System aus Spiegeln, Zahnrädern und Linsen erzeugen in tiefster künstlicher Nacht einen Himmel, wie er über der Großstadt auch bei klarem Wetter nicht mehr zu sehen ist.
Installiert wurden sie ursprünglich für die Bremer Studenten der Nautik, denn wer ein ordentlicher Kapitän werden will, muß nachts jederzeit zumindest seinen geographischen Standpunkt bestimmen können, egal auf welches Meer es ihn verschlagen hat. So kann der Projektor in der Mitte des Raums jeden nur erdenklichen Frühlings- oder Herbsthimmel erzeugen, egal ob über dem Eismeer oder einem Pazifik-Atoll. Unter den 3.000 aufleuchtenden Lichtpunkten hat der Hornblower-Aspirant Sternbilder wiederzuerkennen, um zu wissen,in welche Richtung er fährt. Größere Planetarien erzeugen noch wesentlich mehr Sternbilder.
Ein Vortrag führt die unkundige BesucherIn sicher um alle Klippen, seit die Olbas-Gesellschaft dort öffentliche Abende veranstaltet. Auch Träumen ist erlaubt, wenn zu Vivaldis Frühling das Auge auf Reisen durch die Sterne geht.
Doch alles war nur Illusion, das Lichtermeer entsprang einer elektrischen Glühlampe im Projektor. Für ganz Vernarrte bleibt die Möglichkeit, durch ein Fernrohr zu sehen und das Original zu bestaunen. Wer an einem Mittwochabend rechtzeitig die Augen zusammenkneift und am fernen Horizont keine Wolken entdeckt, wird dann vielleicht selbst erblicken, was Galilei vor 360 Jahren nicht sehen konnte, weil Schnee fiel. roth
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