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Mystischer Touristenführer

■ Klaus Modicks Roman „Das Licht in den Steinen“

Günter Eich empfand angesichts der geschichtsträchtigen Ruinen der „Ewigen Stadt“ nur noch einen „Lachreiz vor Säulen“. „Zuviel Abendland“, notierte er in seiner Fußnote zu Rom lakonisch, „verdächtig.“ Rolf Dieter Brinkmann warf in seinem legendären Rom-Tagebuch Blicke der Verachtung und des Hasses auf die alte Metropole. Rom wurde zur universellen Metapher für die allgemeine Verrottung und „irrwitzige Häßlichkeit“ der westlichen Zivilisation.

Zwanzig Jahre nach Brinkmann macht sich mit Klaus Modick ein weiterer Villa-Massimo-Stipendiat auf den Weg: Am letzten Tag seines Rom-Aufenthalts durchstreift er von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit die Stadt, um sich noch einmal von ihrer „Atmosphäre“, ihrem „Aroma“ und ihrer „Melodie“ bezaubern zu lassen. Der leere, weil routinierte Alltagsblick auf die Stadt soll durchbrochen werden im permanenten Ausnahmezustand der Wahrnehmung, durch eine gleichsam mystische Versenkung in die Dinge. „Die Aura einer Erscheinung erfahren“, so definierte einst Walter Benjamin, „heißt sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen.“

Dieser Akt der „Belehnung“, der die ästhetische Erfahrung der Aura ermöglicht, ist das geheime Agens in Klaus Modicks Roman. Es geht einzig darum zu zeigen, daß auch in einer von unzähligen Legenden und Klischees zugekleisterten Stadt unverstellte ästhetische Erfahrung noch möglich ist. Während der Siesta auf dem Protestantischen Friedhof und unter der Kuppel des Pantheons vollziehen sich dabei jene zauberhaften Epiphanien, während derer „die Dinge lautlos zu sprechen beginnen“.

In diesem Roman ist ein Mystiker unterwegs, dem sich an jeder Straßenecke mühelos die Geheimnisse der Stadt offenbaren. Diese Wahrnehmungsempfindlichkeit droht alle Widersprüche und Schattenseiten der Metropole aufzulösen. Nicht daß Modick das unübersehbare Faktum des städtischen Zerfalls leugnete, im Gegenteil. Aber er versucht das chaotische Nebeneinander von antiken Ruinen, steinernem Trümmergewirr und modernem Zivilisationsmüll immer im Hinblick auf eine verborgene Schönheit zu deuten, die eben nur dem „träumerischen Wissen“ des Mystikers zugänglich ist.

Oft erspart sich Klaus Modick den genauen Blick, das ruhige Hinsehen auf die Dinge, um sie lieber gleich mit dem auratischen Schein zu vergolden. Meist ist der Essayist Modick dem Erzähler einen Schritt voraus, ist die Reflexion schneller als die Wahrnehmung, so daß der einzelne Park, Brunnen oder Palast gewissermaßen vorab im Licht märchenhafter Verzauberung erstrahlt.

So scheint es mitunter, als werde die Aura einer Erscheinung mehr verordnet denn wirklich sinnlich erfahren: „In der Kühle des abgründigen Gemäuers, in der plötzlichen Stille, die wie aus dem Lärm gegraben schien und vom entfernten Rauschen eines unterirdischen Stroms noch unterstrichen wurde, zitterte jetzt fast unmerkbar fein, dünn und in einem unregelmäßigen Rhythmus wie das verirrte Funksignal aus einer fernen Galaxie, eine Art Aufforderung durch den Raum, nicht nur dem Lebendigen, sondern auch den scheinbar toten, abgelebten, den scheinbar unbeseelten Dingen, dem Zerfallenen noch und dem Bruchstück Respekt und Aufmerksamkeit entgegenzubringen — einem Stein, weil er einfach ein Stein war.“

Problematisch wird es auch, wenn Modick sich in landeskundlichen Exkursen versucht. Obwohl sich der Autor selbst ermahnt, „daß die Stadt weder zu begreifen noch auf irgendwelche angreifbaren Formeln zu bringen war“, bietet er zahlreiche Einzelheiten feil, die in einem alternativen Stadtführer besser aufgehoben wären: Auskünfte über das menschenfreundliche Verkehrschaos in Rom; über die Umständlichkeit der Bürokratie und die äußerst mangelhafte Zustellgeschwindigkeit der italienischen Post; über die Gerissenheit der römischen Trickbetrüger und die „offensive Erotik“ der römischen Frauen — all dies gehört mittlerweile zum Bildungsschatz jedes Italien-Touristen und ist in einem ambitionierten Roman, der eine „andere Wahrnehmung“ erprobt, schlichtweg entbehrlich.

Insgesamt fällt Modicks Rom- Buch gegenüber seinem Kindheits- Roman Die Schrift vom Speicher (1991) deutlich ab. Bereits in diesem Buch übte sich Modicks Ich-Erzähler in meditativer Selbstversenkung, im träumerischen Blick auf die Welt. Während aber in der Schrift vom Speicher die Wiederbegegnung mit der verlorenen Zeit der Kindheit behutsam-sinnlich erzählt wird, wirken die mystischen Erlebnisse im neuen Roman oft maniriert, gewaltsam dem Text aufgepfropft. Die ästhetische Wahrnehmnung der „Ewigen Stadt“, wie sie Klaus Modick vorführt, steht den romantisierenden Weichbildern der Tourismusindustrie näher, als dem Autor lieb sein kann. Michael Braun

Klaus Modick: Das Licht in den Steinen. Frankfurter Verlagsanstalt, 216Seiten, 34DM.

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