: Feminismus im Wettlauf mit der Uhr
Ein Bericht von der V.Internationalen Feministischen Buchmesse in Amsterdam ■ Von Karin Flothmann
Klein-Frankfurt vom Feinsten — so nannten die Verlegerinnen die V. Internationale Feministische Buchmesse, die am vergangenen Sonntag in Amsterdam zu Ende ging. Fünf Tage lang präsentierten sich an mehr als hundert Messeständen in den altehrwürdigen Hallen der Beurs van Berlage, der ehemaligen Börse im Herzen Amsterdams, 234 Verlage und Archive, Zeitschriften und Antiquariate. Auch wenn britische, US-amerikanische und west-europäische Verlage das Bild in erster Linie prägten, waren sie präsent, die feministischen Verlegerinnen aus aller Welt: „Cuarto Propio“ aus Santiago de Chile, „Tigress Press“ aus Bangkok oder das mittlerweile schon seit sieben Jahren existierende Verlagshaus „Kali for Women“ aus Neu Delhi.
Da kaum ein Verlag die ganze Bücherlast wieder zurück ins Herkunftsland transportieren wollte, gestaltete sich die Messe gleich mit dem ersten Publikumstag zu einer grandiosen Verkaufsshow, die von den täglich etwa 2.000 BesucherInnen mit Begeisterung genutzt wurde. Feministische Theorie und Frauenforschung konkurrierten mit einer breiten belletristischen Palette. Die Auseinandersetzung mit dem Rasissmus spiegelte sich in allen Sprachen wider. Und vor allem das Schreiben schwarzer Frauen, also nach politischer Definition aller Frauen, die nicht weiß oder nicht christlich sozialisiert sind, prägte das Bild vieler Verlagsangebote. Nicht wegzudenken aber auch die Fülle der Krimis und lesbischen Thriller. Das Geschäft mit dem Nervenkitzel läuft, und auch die Krimi-Szene hat ihre Stars, wie beispielsweise die US- amerikanische Autorin Barbara Wilson. Selbst Vampir-Stories nach Frauenart bietet die britische Women's Press ihren Leserinnen.
Kein Platz für Kontroversen
Parallel zum bunten Markttreiben fanden in drei großzügigen Veranstaltungssälen Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden mit Autorinnen aus aller Frauen Länder statt. Besucherinnen, die schon vom Angebot der Messe schier erschlagen wurden, hatten an den drei Publikumstagen die Wahl zwischen insgesamt 110 Veranstaltungen, bei denen sie fast 200 Autorinnen live zu Gesicht bekommen konnten. Friedlich ging es zu, denn für kontroverse Diskussionen war kein Platz. Die Professionalität der Messe schluckte jegliche politische Auseinandersetzung. Vor allem die „großen“ Namen wie Shere Hite, Marilyn French und Germaine Greer lockten wahre Publikumsströme und, wie beabsichtigt, die Presse an. Interessanter klangen jedoch andere Veranstaltungen. „Zwischen zwei Kulturen“ nannte sich ein Schwerpunkt des Programms, der das Schreiben emigrierter Autorinnen beleuchten wollte. Autorinnen aus arabischen, afrikanischen und asiatischen Ländern wollten ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen diskutieren. Der Humor in lesbischen Texten wurde per Sketch und Comic illustriert. (Nebenbei bemerkt, alle kamen zu der Feststellung, daß es im bierernsten Deutschland auch unter Lesben keinen Deut Humor gibt.) Und am Rande fanden einige wenige Lesungen statt.
Die Zukunft des Feminismus
Die Zeit pro Veranstaltung war äußerst knapp bemessen: Maximal 45 Minuten standen in der Regel zur Verfügung, eine Zeit, in der meist nicht mehr als ein kurzer Schlagabtausch der fünf bis acht Podiumsteilnehmerinnen stattfinden konnte. Nur ganz Hartgesottene suchten an einem Tag gleich mehrere Gesprächsrunden auf. Auch die überfüllte Abschlußdebatte über die „Zukunft des Feminismus“ geriet zu einer Farce. Wer hoffte, hier Marilyn French als streitbare Feministin kennenzulernen, wurde enttäuscht, denn die 63jährige hatte sich zurückgezogen.
Und so bezog sich die Moderatorin nur auf Frenchs Thesen vom Krieg gegen die Frauen und konstatierte für den westlich geprägten Feminismus das Wiederaufflammen der Mutterschaftsideologie. Kaum waren die einleitenden Worte gesprochen, da kam es zum ersten Mal auf dieser Messe zu Aufruhr und hitzigen Zwischenrufen. Nicht etwa, daß empörte Mütter aufbegehrt hätten. Nein, draußen vor verschlossener Tür standen noch an die 50 Besucherinnen, die Einlaß begehrten. Und so verstrich denn eine halbe Stunde emotionalen Tumults, bis auch der letzte Stuhl besetzt war und alle zufrieden sein konnten. Die Zukunft des Feminismus: Jede ergattert einen Sitzplatz.
In den verbleibenden Minuten hakten die Podiumsteilnehmerinnen dann im Schnelldurchlauf unterschiedliche feministische, lesbische, menschenrechtliche und andere Positionen ab. Die junge Afro-Britin Valerie Mason John proklamierte, für sie sei vor allem der Separatismus wichtig, als Lesbe und als Schwarze. Feminismus bedeute zu oft nur das, was weiße Mittelstandsfrauen der westlichen Hemisphäre für richtig hielten. Prompt meldete sich eine gestandene holländische „Feministin“ zu Wort, wies kokettierend darauf hin, daß sie eine dieser weißen Mittelstandsfrauen sei, lächelte der Afro-Britin zu und beschwor: „Wir haben doch alle ein gemeinsames Feindbild, nämlich den Mann!“ Die Marokkanerin Fatima Mernissi widersprach beiden Sichtweisen. Sie verwies darauf, daß gerade der Separatismus der Geschlechter von den Verfechtern des islamischen Fundamentalismus gewollt wird und plädierte für gemeinsame Strategien von Männern und Frauen zur Verwirklichung der Menschenrechte. „Wenn Sie mich zum Separatismus auffordern, schicken Sie mich in den Harem zurück.“
Unterschiede und Gemeinsamkeiten wurden nur kurz angerissen — auch diese Diskussion blieb an der Oberfläche. Wie viele vorhergehende Runden fand sie mit Blick auf die Uhr ein abruptes Ende. Annemarie Grewel, Moderatorin der Runde, verwies mit einem Seitenhieb in Richtung ihrer holländischen Kollegin noch kurz auf die arrogante, satte und bildlich gesprochen vollgefresse Zufriedenheit weißer Feministinnen der „Ersten Welt“, die meinten, sie müßten jetzt jammernd den Untergang des Feminismus beklagen, um sich darauf flugs in ihre Privatsphäre zurückzuziehen. Und zum Schluß blieben die Worte Fatima Mernissis im Raum stehen: „Genauso, wie es im Islam viele verschiedene Strömungen gibt, darunter auch den Fundamentalismus, gibt es eben viele Feminismen.“
Professionalität statt Inhalt
Daß diese Art des Schlagabtauschs vorprogrammiert war, leugneten die Organisatorinnen nicht. „Im Grunde genommen stehen auf dieser Messe Autorinnen und Bücher im Mittelpunkt, und das Publikum darf dabei eben anwesend sein“, meinte Gerda Meijerink, Präsidentin der Messe. Diese Konzeption führte bei den feministischen Verlagen zur Verärgerung. „Hier in Amsterdam fehlt einfach der feministisch-lesbische, der politisch-kämpferische Geist, der die Feministischen Buchmessen bisher stets geprägt hat“, kommentierten Verlegerinnen der Frauenoffensive aus München das Geschehen. Denn seit der ersten Messe, die, von britischen Verlegerinnen initiiert, 1984 in London stattfand, hatte die Internationale Feministische Buchmesse die Tradition, neben der beeindruckenden Bücherschau, die im Zweijahres-Rhythmus ständig expandierte, auch ein Forum für feministische Debatten zu sein. Die dritte Messe 1988 im kanadischen Montreal wurde so zu einer gigantischen Frauenkonferenz. Auch die diesjährige V. Internationale Buchmesse fand wieder einmal in einem Land der sogenannten Ersten Welt statt. Im Gegensatz zu den vorherigen Messen sprach der Veranstaltungsort in den Niederlanden sehr viele Verlage aus dem näheren Ausland an. So präsentierten neben feministischen Herausgeberinnen auch männliche Angehörige renommierter Verlagshäuser wie der britischen Penguin Group ihre Frauenreihen. Reihen, die allesamt von der Pionierarbeit der Frauenverlage profitieren, gleichzeitig aber auch mit denkbar seichten Titeln aufwarten. Mit Stolz verwies Buchmessen-Präsidentin Gerda Meijerink darauf, daß 40Prozent aller AusstellerInnen allgemeine Verlagshäuser seien. Daß eine Zeitschrift wie 'Index on Censorship‘ auf der Messe nicht ausgelegt werden durfte, weil darin ja zu etwa 50Prozent auch Männer veröffentlichten, mutete bei so viel Weltoffenheit schon merkwürdig an.
Auch den Ausrichterinnen der nächsten Feministischen Buchmesse fehlte in Amsterdam die Politik. Die sechste Internationale Messe verläßt 1994 zum zweiten Mal den europäischen Kontinent, um sich in Melbourne, Australien, zu präsentieren. Susan Hawthorne vom Australischen Verlag „Spinifex Press“ betonte, sie wollten in zwei Jahren wieder einen stärkeren Schwerpunkt auf radikale und lesbische Politik legen. „Obwohl Promifrauen wie Germaine Greer die Presse anziehen, müssen sie nicht unbedingt zu uns nach Melbourne kommen.“ 1996 soll das feministische Spektakel dann endlich — so wie es das ursprüngliche Konzept der rotierenden Messe eigentlich vorsieht — in einem Land der „Dritten Welt“ stattfinden, in Brasilien.
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