Gesucht: honorige Politiker

■ In Italien wird Regierungsbildung zum Dauerzustand

Gesucht: honorige Politiker In Italien wird Regierungsbildung zum Dauerzustand

Uffa“ — Italiens Wort fürs Unvorhergesehene, Ärgerliche, für das, was so ganz und gar nicht ins Konzept paßt: dem neuen Regierungschef Giuliano Amato entfuhr es just in dem Augenblick, als die Senatoren ihm und seiner Regierung mit respektabler Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen hatten. Da nämlich ereilte ihn die Nachricht, daß Mailands Staatsanwaltschaft soeben die Aufhebung der Immunität für einen seiner wichtigsten Minister beantragt hatte: für den allgemein als „il Ragioniere“ (der Buchhalter) apostrophierten Finanzminister Giovanni Goria — wegen Unregelmäßigkeiten während dessen Zeit als Bankchef im heimatlichen Asti.

Der Fall wiegt umso schwerer, als Amato auf striktes Geheiß des neuen, saubermännischen Staatspräsidenten Scalfaro nur ins Kabinett berufen durfte, wer eine absolut reine Weste habe und in keinerlei Ermittlungsverfahren verstrikt sei. Nun soll ausgerechnet der Mann, der den Italienern wieder Vertrauen zum Fiskus beibringen und angesichts der maroden Staatsfinanzen harte Opfer abverlangen muß, ein potentieller Knast-Anwärter sein? Die Not ist groß: woher die neuen, sauberen Gesichter hernehmen und sicher sein, daß sie nicht doch stehlen? Die in Demokratien sonst übliche Lösung, mal die Opposition ranzulassen, bietet auch keine besseren Aussichten: Mehr als ein Dutzend neugewählte Abgeordnete und Senatoren sind derzeit schon von Ermittlungsverfahren wegen Korruption, Hehlerei und Erpressung betroffen.

Das Zauberwort der Regierungsbildung hieß daher „Techniker“: parteifreie Minister sollen Expertenwissen und manageriale Kraft walten lassen, anstatt auf Klientel und Posten zu schielen. Aber, oh weh, auch das geht schon wieder schief. Dreieinhalb Stunden hat Staatschef die von Amato vorgelegte erste Kabinettsliste gefilzt, fast ein Dutzend Aspiranten gefeuert und durch andere Leute ersetzen lassen — acht „Techniker“ werkeln nun als Minister. Doch von hoffnungsvollen Journalisten befragt, erwiesen sich die Technokraten als recht unbedarft: Die meisten hatten offenbar noch keinerlei Ahnung, was in ihrem Amt eigentlich zu tun sein. In einigen Ressorts wollte sich auch kein einziger außerparteilicher Experte finden — etwa für Finanzen, solange diese faktisch auf drei Ministerien (Schatzamt, Haushalt und Finanz) verteilt sind. Und so kam denn Goria wieder ins Gespräch, als einer der wenigen im Regierungsbündnis, der wenigtens der Sage nach Bilanzen lesen kann. Das mag sogar stimmen: die Anklage der Mailänder Staatsanwälte lautet jedenfalls — Bilanzfälschung. Uffa. Werner Raith, Rom