: Brummis stellen sich weiter quer
Frankreichs Fernfahrer protestieren gegen Führerschein mit Strafpunktsystem/ Urlauber in der Falle ■ Aus Paris Bettina Kaps
Streikende Lkw-Fahrer, die gegen den neu eingeführten Führerschein mit Strafpunktsystem protestieren, werden Frankreich wohl auch am Wochenende in der Hand haben. Die Ferienreisewelle verebbt in Blockaden und Staus. Gestern war die Achse Lille-Paris-Lyon-Marseille weitgehend lahmgelegt, die Städte Toulouse, Valencienne, Le Havre und Bordeaux völlig blockiert. Für die Côte d'Azur wurde der Umweg über Grenoble empfohlen, denn auf der „Sonnen-Autobahn“ im Rhone-Tal und den Nationalstraßen der Region wurden zeitweilig 23 Blockaden gezählt. Da die Brummi- Fahrer die Streikfront ständig bewegten, absolut dichte Pfropfen zu „Filtern“ öffneten und umgekehrt, war ohne Radio, Karte und Pfadfindersinn kein Vorwärtskommen möglich.
Neben den Urlaubern bremsten die Blockaden auch die Wirtschaft. 75 Prozent des französischen Warenverkehrs werden über die Straße abgewickelt. Vielen Automobilfabriken gelang es nur mit Improvisation, ihre Bänder am Laufen zu halten. So ließ Renault Elektronikteile per Hubschrauber in sein Werk in Douai einfliegen. In der Peugeot-Fabrik von Sochaux können täglich 1.700 Autos fertiggestellt, vorausgesetzt, es kommen 700 Lkw-Ladungen mit Einzelteilen an. Dort wurde am Donnerstag kurzgearbeitet, am Freitag mußten 4.000 Peugeot-Arbeiter in Mulhouse zu Hause bleiben.
Die Lkw-Fahrer sehen durch das seit Mittwoch geltende Führerschein-Punkte-System ihre Existenz bedroht. Das neue System, das in verschärfter Form dem deutschen Beispiel folgt, soll endlich für Disziplin sorgen. Dabei erhält jeder Fahrer sechs Punkte, bei Vergehen werden Punkte abgezogen, bei null Punkten der Führerschein für sechs Monate entzogen.
Frankreich ist europäischer Spitzenreiter bei Verkehrsunfällen (rund 10.000 Tote und rund 200.000 Verletzte pro Jahr). Während viele Franzosen den Punkte-Führerschein begrüßen, hat er bei den Fernfahrern eine regelrechte Psychose ausgelöst. Sie kämpfen um Sonderregeln und damit um das Recht, das Gesetz weiterhin überschreiten zu dürfen. Einerseits zwingt die scharfe Konkurrenz viele Lkw-Fahrer, alle Bedingungen der Transportunternehmer zu akzeptieren; zu schnelles und zu langes Fahren gehören für sie zur Regel. Hinzu kommt jedoch auch der Mythos vom Nomaden, der seine Freiheiten verteidigt. In den Verhandlungen mit der Regierung konnten sie immerhin durchsetzen, daß ihnen keine Punkte abgezogen werden, wenn nur der Fahrtenschreiber zu schnelles Fahren verrät. Am Freitag nachmittag sollten die Gespräche auch auf die Arbeitsbedingungen der Fernfahrer ausgedehnt werden. Etwas anderes bleibt der Regierung auch nicht übrig: Wollte sie die Schwerlaster gewaltsam entfernen, müßten schon militärische Mittel eingesetzt werden. Da Regierungschef Beregovoy entschlossen ist, sich nicht in die Knie zwingen zu lassen, dürften die Blockaden noch eine Weile anhalten.
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