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Meist ist die böse Nachbarin schuld

■ Cannabis-Kleingärtner sind für die Polizei kein Gegner/ Rund 10 Anzeigen in diesem Sommer

Leute, die auf dem Bahndamm Nordseite Cannabis züchten, sind keine Gegner für uns«, winkt der Chef des Rauschgiftreferats der Kripo, Georg Samulowski, lässig ab. Auch für die Berliner Justiz sind die Marihuana- Kleingärtner kein Thema. »Der letzte Prozeß muß mindestens sieben bis acht Jahre her sein«, kommt der Drogenrichter am Amtsgericht Moabit, Dagobert Remuss, richtig ins Grübeln. Die wenigen Ermittlungsverfahren, die es gebe, würden in der Regel eingestellt, wenn es sich um geringe Mengen und sogenannte Ersttäter handele.

Der Anbau von Pflanzen der Gattung Cannabis (Marihuana) ist in der Bundesrepublik seit der Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 verboten. Erlaubt ist Hanfanbau nur dann, wenn die Pflanzen als Schutzstreifen bei der Rübenzüchtung erforderlich sind und die Blüten sofort vernichtet werden. In die Bundesrepublik eingeführt werden darf Hanf nur zur Gewinnung oder Verarbeitung von Fasern zu gewerblichen Zwecken. Lediglich der Besitz von Samen, der bekanntlich in jedem Wellensittichfutter enthalten ist, ist nicht verboten.

Anfang der achtziger Jahre, als der Anbau unter Strafe gestellt wurde, so erinnert sich Chef- Rauschgiftfahnder Samulowski, hätten sich »die WGs und so ja noch ernsthaft bemüht«, im Zimmer mit UV-Licht oder auf dem Balkon ihr eigenes Marihuana zu züchten. »Das waren die Auswirkungen der Hippie- Bewegung und der orientalischen Reisen.« Große Ausmaße habe der Eigenanbau des home-grown grass in Berlin aber nie angenommen. Das liege wohl an der aufwendigen gärtnerischen Kleinarbeit und am vergleichsweise geringen Cannabis- Wirkstoffgehalt Tetrahydrocannabinol (THC), glaubt Samulowski. »Selbst mit UV-Licht oder in einem so heißen Sommer wie dem jetzt, entwickeln die Pflanzen hier nicht so ein starkes THC wie in subtropischen Regionen«.

Nach Schätzung des Rauschgiftfahnders wurden in diesem Sommer rund zehn Fälle von Gras-Eigenanbau im Westteil der Stadt angezeigt. Im Ostteil und den neuen Bundesländern, ist er überzeugt, sei Marihuana noch ziemlich unbekannt. »Wir rennen nicht durch die Straßen und gucken, ob oben irgendwo was steht. Aber wenn eine Anzeige von einer bösen Nachbarin oder dem Kob kommt, müssen wir natürlich tätig werden.« Bei der Beschlagnahmung werde kurzer Prozeß gemacht: »Die Pflanzen werden herausgerupft, in der polizeitechnischen Untersuchungsanstalt guckt kurz ein Biologe drauf, schreibt ein Gutachten, und dann wird das Zeug verbrannt.«

Der letzte große Coup der Rauschgiftfahnder, der in die Schlagzeilen geriet, liegt schon viele Jahre zurück. Es geschah im Juli 1985 im Museumsdorf Düppel. Ein anonymer Anrufer hatte der Polizei gesteckt, daß im Kräuter- und Gemüsegarten des mittelalterlichen Dorfes zwischen Erbsen und Möhren 18 Hanfpflanzen wucherten. Die Kripo witterte Gefahr im Verzuge, ritt mit zwei Beamten im Dorf ein und riß die mannshohen Gewächse mit Stumpf und Stiel aus der Erde.

Das unsanfte Vorgehen der Polizei und die Schlagzeilen der Regenbogenpresse wie »Hasch-Razzia im Museumsdorf« riefen anderntags die empörten Mitarbeiter des honorigen Museums-Förderkreises auf den Plan. Anhand von Schaubildern und und getrockneten Hanfhalmen suchte ein Professor zu verdeutlichen, daß es sich bei den beschlagnahmten Pflanzen um eine Form des cannabis sativa — des Faserhanfs — handelte. Dieser sei unter den hiesigen klimatischen Bedingungen im Gegensatz zum in den Tropen wachsenden cannabis indica zur Haschischproduktion denkbar ungeeignet. Die frei ausgesamten, aus Vogelfutter stammenden wild wachsenden Exemplare, so der Professor, seien in den Kräutergarten umgesetzt worden, um den Museumsbesuchern zu demonstrieren, woraus schon im Mittelalter Stricke und Seile produziert wurden. Doch das alles focht die Polizei nicht an. »Für uns spielt es keine Rolle, ob die Pflanzen zur Rauschgiftproduktion geeignet sind oder nicht«, erklärte der damalige Chef des Rauschgiftreferats, Ulber, ungerührt. »Wir haben nur eins festzustellen: Handelt es sich um Cannabis oder nicht.«

Cannabis sativa und cannabis indica hin oder her: Der Hanf ist neben dem Getreide eine der ältesten Kulturpflanzen, sein Same neben der Sojabohne eine der gehaltreichsten Früchte. Der Cannabis war um 2000 vor unserer Zeitrechnung bereits den Ägyptern bekannt und tauchte 1500 Jahre später bei den Chinesen auf, die aus dem Hanf später die Kunst der Papierherstellung entwickelten. Erste detaillierte Berichte über die Hanfdampf-Berauschung liefert 450 v.Chr. Herodot in seinen Aufzeichnungen über das wilde Reitervolk der Skythen. In Europa wird der Hanf seit dem Mittelalter angebaut. Bis zur Jahrhundertwende bestanden 80 Prozent aller Textilien aus Hanf und bis 1937 alle Seile und Zwirnwaren.

Die »Encyclopaedia Britannica« zählte in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 30 Millionen Marihuanaraucher. In die Bundesrepublik hielt das Marihuana in den Sechzigern im Zuge der Studentenbewegung Einzug und ist für zwei bis vier Millionen Kiffer schon längst eine Alltagsdroge geworden. Doch im Gegensatz zu Holland, wo der Cannabis mittlerweile wie ganz normales Gemüse auf großen Plantagen angebaut wird, bleibt das home- grown grass hier — der verlogenen Drogenpolitik sei Dank — bis auf weiteres in die Bumentöpfe verschwiegener Hinterhöfe verbannt. Plutonia Plarre

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