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Der späte Sieg der Klinik

■ Kunst und Lebenslust statt Irrenhaus: Vor zehn Jahren begann die Auflösung der Anstalt Blankenburg / 3 Tage Festival in Walle

hierhin

den blonden

Mann mit Brille

Klaus Pramann, Reformpsychiater der ersten StundeFoto: Holzapfel

Bis zu 300 „unheilbare Fälle“ aus Bremen waren zeitweise im Irrenhaus Kloster Blankenburg nahe Oldenburg eingesperrt. Die bremische „Initiative zur sozialen Rehabilitation und Vorbeugung psychischer Erkrankungen“, im folgenden „Initiative...“, war rädelsführend am Schleifen der Anstalt und am Aufbau von Wohngruppen für die entlassenen Insassen in Bremen beteiligt. Damit keineswegs genug: 1985 zog eine „Blaue Karawane“ vom befreiten Triest aus nach Bremen, machte unterwegs Station in zahllosen Kliniken und trommelte für die Auflösung aller geschlossenen Anstalten. Jetzt soll von Bremen aus eine zweite „Blaue Karawane“ gestartet werden, diesmal in Richtung Osten. Zur ersten Vorbereitung dient das Festival „Blau ist die Farbe“, mit dem die „Initiative“ ihr zehnjähriges Bestehen feiert: drei Tage lang am kommenden Wochenende im Waller Park. Die taz sprach mit dem Psychiater Dr. Klaus Pramann von der „Initiative...“

taz: Die Blaue Karawane zieht weiter: Was kommt da auf den Osten zu?

Dr. Klaus Pramann: Wir werden uns mit unsrer Art von Buntheit und Phantasie, mit absurdem Theater und provokantem Rummel, mit Verrückten und Normalen in den Osten bewegen, dessen Psychiatrie leider gerade überschwemmt wird mit den alten westlichen Reformmodellen. Wie sich die Karawane bewegt, hängt davon ab, was sich dort entwickelt. Wir hoffen auf viele Karawansereien an vielen Orten, auch im Westen; wie wir sie verknüpfen, ob zu Wasser, zu Lande oder in der Luft, wird sich zeigen. Den Auftakt wollen wir an diesem Wochenende in Bremen geben: bei einem dreitägigen Festival im Waller Park; in zwei Jahren soll's dann richtig losgehn.

Also neun Jahre nach der ersten Karawane wieder von vorn?

Mit erheblich erweitertem Thema: Es heißt „Grenzüberschreitung“. Die Logik von Ausgrenzung und Entwertung menschlichen Lebens hat sich in jüngerer Zeit ja auf allen Gebieten perfektioniert; nach dem „Langzeitpatienten“, dem Schwierigen, den man wegschloß, gibt es jetzt längst den „Langzeitarbeitslosen“; die Psychiatrie war nur ein besonders häßlicher Bereich. Die ehemalige Anstalt Blankenburg ist übrigens, zehn Jahre nachdem wir angefangen haben, sie aufzulösen, keineswegs leer; da sind jetzt Asylanten verstaut.

Dabei ist Blankenburg die einzige geschlossene Anstalt, die je in der alten BRD planmäßig liquidiert worden ist.

Und auch nur gegen erbitterten Widerstand. Seit wir da eingeflogen worden sind, wir acht, neun Leutchen auf unsere neue „Enthospitalisierungsstation“, und anfingen, die Leute rauszuholen, hatten wir den Eindruck, alle Strukturen zu verletzen, die den Behörden und Kliniken heilig waren. Als wir ankamen, waren tatsächlich die Insassen schon wieder vorsortiert in „Rehabilitierbare“ und „nicht Rehabilitierbare“, in Männer und Frauen; wir legten erstmal alle wieder zusammen, und schon flogen die Fetzen. Daß verrückte Männer und Frauen relativ selbstbestimmt in betreuten Wohngemeinschaften zusammenleben sollten, sei sittenwidrig, hieß es. Auch die Patienten waren natürlich instruiert; die stellten sich vor uns hin und leierten: Dür-fen-wir-hier-blei- ben. In unsrer ersten WG tauchten noch ab und zu Kontrolleure aus Blankenburg auf, die schnüffelten ungeniert in allen Schränken, wie sie's eben gewohnt waren. Der Behörde und den Kliniken ging es, so wurde uns recht offen bedeutet, eigentlich nur um eine möglichst kostengünstige Umverteilung der Patienten nach Bremen. Das hatten wir schon befürchtet; inzwischen sind auch andere Befürchtungen wahr geworden, vor allem die eine: Zehn Jahre lang haben wir eingeschachtelte „Langzeitfälle“ aus den Kliniken in die Stadt zurückgeholt, in WGs einquartiert, und das alles hat die Klinik als Institution nur noch stärker gemacht.

Weil ihr sie entlastet habt?

Ja. Die Kliniken stehen heute freundlicher und schöner da, obwohl man gerne so tut, als sei ihre Auflösung noch in vollem Gang. Nun ja, die früheren Schlangengruben, die Langzeitstationen gibt es kaum mehr; die schwierige Arbeit machen ja wir. Aber obwohl die Klinik auch heute einer Hilfe zum selbstbestimmten Leben nicht fähig ist, kann sich ein Psychiatrisierter ihrer fürsorglichen Kontrolle weniger entziehen denn je; sie ist sanfter und dafür allumfassend geworden. Die Kli

Ziemlich verrücktes Aktionstheater auf Probe: Die Blaumeiersche Putzkolonne übt ihren Auftritt bei „Jacobs Krönung“Foto: argus/Schröder

nik sieht in ihm sozusagen nur den Entlassenen auf Bewährung, auf Widerruf, und hat nach wie vor die Mittel, im Zweifelsfall ihre Diagnosen zu verwirklichen. Dabei reicht ihre Macht in abnehmender Dosierung bis in die Peripherien der Gemeinden, wo man sich jetzt zunehmend „Wohngemeinschaften“ leistet, die aber außer dem Verwahren kaum etwas leisten können, paradoxerweise auch noch oft unter klinischer Aufsicht. In diesem ganzheitlichen, unentrinnbaren Versorgungssystem zirkulieren die Patienten als Objekte durch abgestufte Instanzen, werden als „werkstattbedürftig“ oder „wohngemeinschaftsfähig“ einsortiert, als ob ihnen ein Defizit als Eigenschaft anhinge, und das mit allen Konsequenzen einer dauernden Beaufsichtigung. Wohin sie sich auch wenden: die Informationen über sie sind ihnen immer schon vorausgeeilt. So fallen ehemals handelnde Subjekte, ihrer Geschichte beraubt, dem Sozialstaat anheim.

Die Antipsychiatrie stand einmal für die Forderung, alle Kliniken aufzulösen. Sind die Zeiten vorbei?

Ja und nein. Nach wie vor ist klar, daß alle ambulante Betreuung, alle Hilfe zu einem selbstbestimmten Leben nicht vollends durchzusetzen ist, solange es Kliniken gibt. Die Klinik, das ist das Fazit unserer zehn Jahre, die Klinik ist nicht von außen her zu entmachten durch immer mehr

hierhin bitte die

Gruppe mit Schrubbern

und Besen

Wohngemeinschaften an ihrer Peripherie. Sie muß von innen her liquidiert werden. Solange es sie gibt, solange die Häuser da sind, die Betten, das Personal, die Hierarchie, solange reproduziert sie sich in einem fort, und wir können nichts als komplementär zu ihr arbeiten, sie ergänzen. Übrigens auch noch billiger, weil schlechter bezahlt. So ist gesichert, daß weiterhin nur die „idealistischen Spinner“ außerhalb der Klinik arbeiten mögen. Und wenn mal einer schwer austickt, sind selbst wir nicht davor gefeit, auch mal äußerstenfalls auf die Klinik zurückgreifen zu müssen. Hier haben wir nicht die Mittel, dort sind sie nach wie vor. In der politischen Debatte aber spielt das zur Zeit keine Rolle. Herrschende Politik ist es nach wie vor, das Verrückte zwanghaft, geradezu schließmuskelhaft im Kasten zu halten: eine einzige große Obstipation. Das klingt bitter, aber immerhin bringen wir die Klinik weiterhin und immer mehr in Legitimationszwang.

Aber der Hauptsatz der klinischen Psychiatrie, daß nämlich der Verrückte vorübergehend außer Funktion sei und deshalb der Reparatur bedarf, der ist doch noch unversehrt in Kraft.

Wir demonstrieren dagegen mit allen Mitteln der Kunst und des Theaters: Was ehemalige Unverbesserliche in unserm Blaumeier- Atelier zusammen mit Künstlern, also ausdrücklich mit Nicht-Therapeuten, schaffen, nimmt oft die ganze Stadt für sich ein; in diesem „Atelier für Kunst und Psychiatrie“ entstanden übrigens während der Vorbereitung zur ersten Blauen Karawane, in diesem Atelier, wo alle beitragen dürfen, was sie eben mitbringen, wo sie sein können, was sie sind, da entstehen ganz eigenartige Werte, während in den Kliniken die sogenannte „Kunsttherapie“ es höchstens interessant findet, wie da auf dem Malpapier die Krankheit zum Vorschein kommt. Selbst die Produktion bleibt ausgegrenzt, bleibt entwertet. Wir drehen das um und suchen dabei so oft wie möglich die Öffentlichkeit. Dahinter steckt natürlich die Gewißheit, daß die Normalen es als einen enormen Gewinn empfinden, wenn sie sich auf ein Theater von Blaumeier oder ähnliches, auf Verrücktes also, nach dem Überwinden der Angst mit Hochgenuß einlassen können, wenn sie überhaupt erstmal hinschauen dürfen. Wenn also hier überhaupt jemand

vorgeführt wird, sind das die Zuschauer. Das geht aber nicht mit Worten, es geht nur mit dem Mittel der Inszenierung, in die man eintreten kann. Das wird deshalb, neben der Debatte, auch das Mittel der Blauen Karawane sein.

Dabei werden die relativen Erfolge des betreuten Wohnens in Bremen eine gewisse Rolle spielen. Wie hat das angefangen?

Die erste WG gründeten wir 82 in der Elisabethstraße mit vier Blankenburgern, die zusammen über 80 Anstaltsjahre auf dem Buckel hatten, und alle Gegner haben erwartet, daß das einfach schiefgehen muß. Der Schritt aus dem Hospitalismus in die eigenen Möbel war aber in gewissem Sinn ganz banal: Es fingen jetzt die Wonnen, Konflikte und Krisen des Alltags an. Zwei Handwerker, die in Blankenburg auch schon viel gewerkelt hatten, waren in der Nachbarschaft schnell einverleibt. Es rasteten aber auch Leute aus, die vorher lange stillgestellt waren, andere fingen wieder an zu saufen. Ein vitaleres Leben heißt ja nicht unbedingt, daß es einfacher wird.

Es gab auch Suizide.

Noch in Blankenburg, ja. Eine Frau, die nach zwei Monaten ohne Medikamente sich völlig geändert hatte. Die war vorher immer rappelig gewesen, nervös, kramte nur in ihrer Handtasche, brabbelte vor sich hin. Mit einemmal ergab sich eine frappierende Ordnung in ihren Gedanken. Die Mitpatienten staunten: „Die Anna ist wieder normal geworden“. Sie schrieb schon frohe Briefe an Verwandte, aber binnen weniger Tage kippte diese Freude in Traurigkeit um, alte Erinnerungen kamen hoch, und schneller als wir es mitkriegten, wurde das übermächtig: Die Frau ging in die Hunte, ein paar Kilometer oberhalb Blankenburgs, und wurde dann bis zur Anstalt zurückgespült. Ein harter Schlag für uns. Vor allem die Notwendigkeit, das mit steifem Rücken durchzustehen, daran festzuhalten, daß das Zulassen von mehr Leben auch mehr Unglück bedeuten kann. In dieser Krise gründeten wir die erste WG: als verzweifelten Schritt nach vorn. Es mußte etwas geschehen. Umso erstaunlicher kommt mir vor, mit welchem Selbstbewußtsein, mit welcher Macht wir jetzt, nach nur zehn Jahren, uns in der Öffentlichkeit bewegen. Die Karawane zieht weiter. Interview: Manfred Dworschak

Morgen um 10 Uhr beginnt im Waller Park das Festival „Blau ist die Farbe“ mit Musik, Talkshows Filmen, Theater von Blaumeiers und Debatten um die Zukunft der Psychiatrie. Bis Sonntag mittag. Programm täglich in der taz.

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