: Darf die Politik sich dem Pogrom beugen?
■ Bremer PolitikerInnen zum Vorschlag Cohn-Bendits für ein Moratorium in der Asyl-Debatte
taz: Daniel Cohn-Bendit hat vorgeschlagen, auf die Rostocker Überfälle mit einem Moratorium in der Frage der Änderung des Grundrechts auf Asyl zu reagieren, damit der Eindruck vermieden wird, daß die Politik sich von der Gewalt auf der Straße unter Druck setzen läßt (vgl. taz vom 25.8.) . Was halten Sie davon?
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hier der Mann
der sich die
Krawatte
festzieht
Peter Kudella (CDU): Ein solches Moratorium kann ja eigentlich nur für die SPD und die Grünen gelten, denn die CDU hat die Frage lange diskutiert und ist zur Überzeugung gekommen, daß wir eine Änderung des Artikels 16 brauchen. Persönlich glaube ich, daß wir nach den Rostocker Ereignissen unter einem größeren Druck stehen, politisch zu entscheiden und Probleme zu lösen — da kann es keine langen Denkpausen mehr geben.
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Freischlag für
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die frau
Helga Trüpel (Grüne): Ich finde das sehr richtig. Ich finde, es ist so ungeheuerlich und schrecklich, was da passiert, da kommt wirklich etwas von dumpfem, rassistischem Gedankengut zu Tage. Und darauf — wie DVU und CDU das machen — nach dem Motto zu reagieren: 'Wir habens ja schon immer gesagt, der Artikel 16 muß geändert werden', ist verhängnisvoll. Man muß die Leute damit konfrontieren, daß man durch Pogrome sowas nicht erzwingen kann.
Friedrich van Nispen (FDP): Ich bin in der Tat der Meinung, daß der Staat sich nicht von einem organisierten Pöbel unter Druck setzen lassen kann. Aber von einem Moratorium halte ich gar nichts. Wir müssen diese Diskussion im Gegenteil zu Ende führen — allerdings vorurteilslos, sachlich und nüchtern. Das ist auch im Moment noch möglich, es hängt von den Akteuren ab. Man kann Ausländerfeindlichkeit auch dadurch befördern, indem man solche Fragen, die den Bürgern auf den Nägeln brennen, nicht diskutiert.
Claus Dittbrenner (SPD): Die Frage ist, inwieweit man in dieser Situation zurückweicht von über Jahrzehnte hinaus gültigen Positionen. Da muß nachgedacht werden, das gilt auch für die Bundes- SPD. Deshalb bin ich dafür, daß nicht per Ordre de Mufti der Petersberger Beschluß übernommen wird, sondern daß man auf einem Sonderparteitag das noch einmal grundsätzlich diskutiert.
Aber ein Moratorium würde doch nichts bewirken. Die gesellschaftspolitische Diskussion geht doch weiter. Was wir brauchen ist Ruhe, damit wir unter dem Eindruck dieser Ereignisse nicht zu voreiligen Beschlüssen kommen.
Michael Teiser (CDU): Da sehe ich überhaupt keinen Sinnzusammenhang. Die Diskussion muß
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Der Mann der fast
ins Bild fällt
jetzt noch schneller vorangetrieben werden als bisher. Wir reden jetzt seit Jahren über die Änderung des Grundgesetzes, und in den Augen der Bürger tut sich nichts, weil die oftmals nichtmal begreifen, warum sich nichts tut.
Horst Isola (SPD): Das kommt ja denjenigen entgegen, die ohnehin gegen eine Änderung von Artikel 16 sind. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß eine solche Änderung nicht das bewirken würde, was man vorgibt, erreichen zu wollen, nämlich eine spürbare Drosselung der Zuwanderung. Ich sehe eine sehr gefährliche Tendenz darin, einen Ursachenzusammenhang zwischen Artikel 16 und den Rostocker Vorgängen herzustellen. Das halte ich für unverantwortlich, weil damit diejenigen, die aus guten Gründen gegen eine Änderung sind, in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt werden sollen.
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der Mann, der
ein wenig
nach oben guckt
Ich prognostiziere, daß auch nach einer möglichen Änderung des Grundgesetz-Artikels 16 — die ich selber auch weiterhin nicht will — nicht etwa die Gewalttaten abreißen würden. Sondern ich befürchte, daß damit sogar noch die letzten Fesseln gesprengt werden.
Umfrage: Dirk Asendorpf
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