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Schmerzendes Wissen

■ Matinee zum Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz vor halbleerem Saal

der Gedenkstätte Auschwitz vor halbleerem Saal

Hoffentlich lag es nur an der frühen Stunde oder an der Live-Übertragung ins Fernsehen, daß so viele Sitze im Thalia leer blieben. Der NDR hatte gemeinsam mit dem Theater zu einer Matinee Gegen das Vergessen geladen, Abschlußveranstaltung einer Spendenaktion des Senders für den Erhalt des Auschwitz-Mahnmals, deren Erlös an die zuständige Stiftung in Polen überwiesen wird. Nach einer wissenschaftlichen Studie sind rund 42,8 Millionen Dollar für das ehemalige Konzentrationslager nötig, eine Summe, die trotz mehrfacher Aufrufe und Sendungen nur schwer durch Spenden allein aufzutreiben ist. Die Wichtigkeit der Aktion des NDR steht außer Frage, besonders in einer Zeit voller Fremdenhaß, in der andere Medien mit massenwirksamen Schlagzeilen Faschismuspropaganda betreiben.

„Gegen das Vergessen“ lasen Hildegard Schmahl, Anette Paulmann, Christoph Bantzer, Hans Kremer und Wolf-Dietrich Sprenger, umrahmt von NDR-Chor und Bigband. Das Programm bestand größtenteils aus Werken jüdischer Künstler, so begann der NDR-Chor mit Stücken Milhauds und Schönbergs, die Schauspieler lasen Texte von Jizchok-Lejb Perez, Peter Weiss, Kay Boyle und Paul Celan.

Im Zentrum der Lesung standen Passagen aus Peter Weiss szenischem Oratorium Die Ermittlung von 1965. Als Material des Stückes dienten Weiss die Aussagen des Frankfurter Auschwitzprozesses, die er in konzentrierter Form zu elf Gesängen fügte. Im Wechsel vorgetragen erzeugten die Schauspieler mit den Zeugenberichten ein beklemmendes Bild unmenschlicher Alltäglichkeit im Lager, der oft verdrängten Verbrechen, ein Bild des unvorstellbaren Grauens. Im vorangestellten Weiss-Text „Meine Ortschaft“ stellt ein Besucher des Auschwitz-Mahnmals fest: „Vor den Lebenden verschließt sich, was hier geschah.“ Um so wichtiger bleibt die Sicherung der alten Dokumente. Christoph Bantzer las aus einer vergrabenen Chronik eines Opfers, die man auf dem KZ-Gelände fand. Eindringlich berichtet sie von den Menschen, die nackt und abgemagert mit Stöcken in die Todeskammern getrieben wurden,

1von der tragischen Hoffnung, die sich aus Verzweiflung langsam in Todessehnsucht wandelt.

Vielleicht noch stärker als die vorgetragene Sprache zeigte sich zum Abschluß die Musik als Darstellungsmittel für unsagbares Leid: Die NDR-Bigband spielte Dieter Glawischnigs Als die Synagogen brannten unter der Leitung des Komponisten. In dieser dissonant- betäubenden Musik wird vieles hörbar - Schreie, Sirenen, Schmerzen, das elende Sterben. „Der Tod ist ein Meister aus Deuschland“ fügt kurz ein Sprecher ein - der Schlußakkord schmerzt in den Ohren, wie das Wissen um die Vernichtung. Niels Grevsen

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