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Wer Süßstoff ißt, wird schneller dick

■ Pralinen im Aufwind / Veranstaltungsreihe zum Marketing in der Süßwaren-Industrie

Auch neugeborene Elefanten zeigen eine „lächelartige Reaktion“, wenn man ihnen Zuckerwasser aufs Maul träufelt. Alle Säugetiere lieben Süßes, Menschen auch. Ißt man Zucker, stellt der Körper zur Verarbeitung Insulin bereit. Das Insulin bewirkt jedoch nicht nur Zuckerverarbeitung, sondern auch die Produktion des Hormons Serotonin — und das steuert das Wohlbefinden. Effekt des Schokoladengenusses: eine kurzfristige Stimmungsaufhellung.

Für das innige Verhältnis zwischen Schleckermäulern und Süßwarenindustrie interessiert sich derzeit auch eine Gruppe Bremer WirtschaftsstudentInnen, die sich „Market Team“ nennt und PraktikerInnen aus der Wirtschaft in die Uni einlädt. Nüchtern klingt der Titel der Veranstaltungsreihe: „Marketing in stagnierenden Märkten am Beispiel der Süßwarenbranche“. Doch die Gästeliste läßt hoffen: Eingeladen sind Manager von Wrigley, von Katjes und Jacobs Suchard.

Warum wir ausgerechnet an Weihnachten so viel Süßkram in uns reinstopfen? Solch grundsätzliche Fragen beantwortete zum Auftakt der Reihe der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Autor des Buches „Iß und stirb“. Mit der weihnachtlichen Zuckerorgie versuchen wir, so Pollmer, den durch die kürzeren Tage gesunkenen Serotonin- Spiegel auszugleichen. Je mehr Licht nämlich, umso mehr Serotonin.

Alle mögen Süßes, manche aber mögen's süßer als andere: die BritInnen zum Beispiel essen 28 Kilo Süßwaren pro Jahr und Kopf - schließlich regnet es dort auch besonders häufig. Vergleichsweise wenig naschen die ItalienerInnen (16 Kilo). Statt Schokolade bevorzugen sie hitzeresistente Kekse. Der niedrige Verbrauch der Deutschen (19 Kilo) hat wahrscheinlich mit der Gesundheitswelle zu tun.

Die Zusammenhänge zwischen Süßwarengenuß und Wetter oder Fitnesswelle erforscht der Süßwaren-Experte Walter Bertholt von der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung. Er war der zweite Gast bei der Auftaktveranstaltung. Bertholt wußte auch zu berichten, daß die Süßwarenbranche fast die einzige ist, die im vergangenen Jahr keinen wirtschaftlichen Einbruch beklagen mußte. Hier stagnierte der Umsatz nur. Doch nicht alle Schleckkram-Hersteller sind zufrieden: Während sich im heißen Sommer '92 Eis hervorragend verkaufte, verblich so manche Schokoladentafel im Regal. Der Pralinenumsatz dagegen steigt und steigt — besonders in den neuen Bundesländern. Der Wettbewerb ist härter geworden, hat Marketing-Fachmann Bertholt beobachtet.

Die Lust an Süßem scheint angeboren — doch mit Gesundheitsbewußtsein versuchen die VerbraucherInnen, dieser Lust zu widerstehen. Die Süßwarenindustrie schreckt das kaum: Sie reagiert mit zuckerfreien Kaugummis und Bonbons. Ersatzstoffe machen es möglich.

Doch wo bleibt da die Insulinausschüttung, die Stimmungsaufhellung? Der süße Eindruck auf der Zunge reicht schon aus, um Insulin auszuschütten, weiß Udo Pollmer. Fataler Effekt: Weil der dem Körper angekündigte Zucker dann doch ausbleibt, entsteht Heißhunger. Das sei ein grandioser Trick der Lebensmittel-Wirtschaft. Die Süßstoffe ersetzen den Zucker nämlich nicht, ganz im Gegenteil: sie machen Appetit auf noch mehr. Wer Süßstoffe nimmt, wird schneller dick, sagt Pollmer. cis

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