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„Bewegungstherapie für Jalousien“

Die Entwicklung der Jalousie: Aus dem „verstellbaren Streifen-Sonnenschützer“ wurden „vertikale Lamellen-Stores“ / Teure Holzjalousien liegen voll im Natur-Trend  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Berlin. In Berlin braucht man kein Fernglas, um die Vorteile seines Fensters zum Hof auszuschöpfen. Dazu sind die meisten Höfe viel zu schmal. Der Alltag im Haus gegenüber läßt sich also mit dem bloßen Auge verfolgen. Aber selbst wenn dieser Alltag interessant ist, werden die voyeuristischen Freuden einem in der Regel dadurch vermiest, daß das eigene Fenster genauso einsichtig ist. Jeden Morgen wieder spannt der bärtige Schurke von schräg gegenüber auf den lecker gedeckten Frühstückstisch. So geht es nicht weiter, eine Gardine muß her.

Freilich sind Gardinen allgemein verpönt. Unweigerlich haftet ihnen ein Odeur von Spießigkeit an, sie verdunkeln den Raum und wollen außerdem gewaschen werden. Nicht so die Jalousie. Sie gilt als modern, ist aber schon mehr als hundert Jahre alt. Am Anfang wurden sie als „verstellbare Streifen-Sonnenschützer“ vor allem für Schaufenster hergestellt, weil sie die Sonnenhitze abhalten, ohne die Auslage zu verdecken. „In den Besitz Ihres Sonnenschützers gelangt, kann ich Ihnen nur mitteilen, daß derselbe voll und ganz meinen Erwartungen entspricht“, schrieb ein zufriedener Kunde in den zwanziger Jahren an die Kurt Boeck KG, die 1897 gegründete älteste Berliner Spezialfirma für Jalousien.

Von Stoffstreifen zu Lamellen-Stores

Die „Sonnenschützer“ bestanden aus vertikalen Stoffstreifen, die durch eine Zugschnur verstellbar waren. Dieselbe Einrichtung gibt es heute auch noch, nur bezeichnen sie die Prospekte jetzt blumig als „vertikale Lamellen-Stores“. Verbreiteter ist die Jalousie mit horizontalen Lamellen. Es gibt sie als breite Außen- und als filigrane Innenjalousie, bunt oder vollverspiegelt, aus Holz, Kunststoff oder Aluminium, mit einer oder mit zwei Schnüren als Antrieb oder gleich mit einem Elektromotor.

Der Breite des Angebots entspricht die der Preise. Vorgefertigte PVC-Jalousien bekommt man schon für 40 Mark. Eine maßgefertigte Jalousie aus echtem Holz sei dagegen „unwahrscheinlich teuer“, sagt Michael Brandt, der Juniorpartner der Kurt Boeck KG. 800 Mark pro Quadratmeter muß man dafür investieren. Trotzdem verkauften sich Holzjalousien sehr gut, meint Brandt: „Das liegt am Trend zur Natur.“

Obwohl die Lamellen keineswegs naturbelassen sind, sondern aufwendig verarbeitet werden, um Verformung durch Sonnenhitze zu verhindern. Ihr hoher Preis erklärt sich außerdem daraus, daß sie von Hand „gefädelt“, also in die strickleiterartigen Halterungen eingefügt werden, was bei Alu- und Kunststoff-Jalousien maschinell gemacht wird.

Die Nachfrage nach Jalousien hängt, wie nicht anders zu erwarten, von der Jahreszeit ab. In den Wintermonaten ist nichts trübseliger als graue Stäbe vor dem Fenster (außer vielleicht bunte Stäbe vor dem Fenster), in den Sommermonaten dagegen erfreut die gleichmäßige Helligkeit, in die die stufenlos regulierbaren Jalousien das Sonnenlicht verwandeln, Augen und Gemüt. „Seit dem ersten Sonnenstrahl stapeln sich die Aufträge auf meinem Schreibtisch“, freut sich Michael Brandt über die Frühlingsbestellungen.

Trotzdem sollen die Sonnenschützer eigentlich länger halten als nur einen Sommer. Gute Jalousien aus Holz oder Aluminium könnten bei guter Wartung 25 Jahre alt werden, sagt Michael Brandt. Man sollte also die Zahnräder im „Oberkopf“, die die Jalousie oben arretieren, hin und wieder ölen und die Zugschnur gelegentlich auswechseln. Die Lebensspanne von Billigjalousien aus Kunststoff, die etwa zwischen drei Wochen und einem Jahr liegt, kann dagegen auch die liebevollste Pflege kaum verlängern.

Dem bärtigen Spanner ist der Einblick dann auf immer verwehrt, weil sich die verbogenen Lamellen nie wieder richtig hochziehen lassen. Es lohnt sich also, etwas mehr zu investieren. Auf elektrischen Antrieb mit Fernbedienung, den ein Prospekt neckisch als „Bewegungs-Therapie für Ihre Jalousien“ bezeichnet, kann man dafür ja verzichten.

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