Das große Schweigen zwischen Vater, Mutter, Tochter

■ Eine Studie über die Schwierigkeiten der Mütter sexuell mißbrauchter Töchter, mit der Situation klarzukommen

„Dem Zeitgeist, wie er sich in den Medien äußert, hinke ich hoffnungslos hinterher.“ Zerknirschung und Kampfansage zugleich klingen in diesen Worten an, mit denen Eva Breitenbach zu Beginn von „Mütter mißbrauchter Mädchen“ ihre Verteidigung einleitet. Sie hat recht – Camille Paglia und Katharina Rutschky würden an ihrem Buch wohl kaum ein gutes Haar lassen. Daß die Autorin altbekannte feministische Dogmen nachbete, ist nur einer der möglichen Vorwürfe. Diskussionswürdig bleibt allerdings, ob die innovationsfreudigen „Post-“, „Anti-“ (oder wie auch immer) Feministinnen in ihrer verwerfungsfreudigen Radikalität den erkorenen Gegnerinnen nicht auch in mancher Beziehung unrecht tun.

Breitenbach kommt es vor allem auf eines an: Innerfamiliärer Kindesmißbrauch, eine der brutalsten Formen sexueller Gewalt, ist keine pathologische Ausnahmeerscheinung, der mit individuellen Schuldzuweisungen – sei es an den „Triebtäter“, sei es an die Mutter, der es nicht gelang, ihr Kind zu schützen – beizukommen ist. Die Ursachen des Mißbrauchs müssen im Geschlechterverhältnis gesucht werden, in dem – noch heute – Männer ihre Identität mit Hilfe von Machtausübung und auf Kosten ihrer Partnerinnen gewinnen. Dem Vater oder Stiefvater ist demnach – entgegen den konventionellen, sexualfeindlichen Deutungen – nicht in erster Linie vorzuwerfen, daß er sexuelle Befriedigung an „unschuldigen Wesen“ sucht. Was Sexualität mit Kindern in jedem Falle problematisch macht, ist vielmehr der ihr innewohnende Akt der Unterwerfung durch den Mann, der gegenüber seiner Tochter über ein strukturelles Plus an Macht verfügt. Sexueller Mißbrauch gefährdet die Identität des Mädchens.

Welche Position aber haben die Mütter? Beeinflußt der Mißbrauch ihre Beziehungen zu Töchtern und Vätern? Tragen auch sie Verletzungen davon? In der öffentlichen Debatte wird den Müttern oft Schweigen vorgeworfen. Breitenbach fragt zunächst nach ihren Wahrnehmungen, ihrem Wissen: Wodurch und wieviel erfahren sie von dem Geschehenen, wie interpretieren sie es? In Interviews berichten sechs Frauen von diesem Aneignungsprozeß. Die Autorin analysiert die Reaktionen im Hinblick darauf, welche Vorstellungen von Sexualität, Männlichkeit, Weiblichkeit, Ehe und Familie in ihnen zum Tragen kommen.

Die Spanne dieser Reaktionen reicht vom sofortigen Bruch mit dem Täter zur Beschuldigung der Tochter als Mittäterin. Gemeinsam allerdings sind den verschiedenen Situationen „Aneignungsverbote“: Obwohl die innerfamiliären Beziehungen teilweise sehr gut sind, kann weder mit der Tochter noch mit dem Vater über den Inzest gesprochen werden. Es fällt den Frauen schwer, ihren (Ex- )Mann als schuldig wahrzunehmen und die Verletzungen der weiblichen Beteiligten – also auch die eigenen – zu thematisieren. Die Frauen, die es als ihre Aufgabe ansehen, männliche Sexualität durch eigene Verfügbarkeit zu kontrollieren, begreifen die Gewalt als sexuell motiviert – und dadurch verstehbar, teilweise entschuldbar.

Die Mütter – so heißt es am Ende – brauchen Unterstützung, Stärkung ihrer „Würde und Wut“. Schade ist, daß es Breitenbach nicht ganz gelingt, der Kehrseite dieser politisch wichtigen Forderung zu entgehen: Obwohl sie sich darum bemüht, die Autonomie ihrer Gesprächspartnerinnen zu akzeptieren, erscheinen die Frauen in den Interpretationen in erster Linie als Opfer. Die zugrundeliegenden Gespräche hingegen zeigen die Mütter in vieler Hinsicht auch als stark: Sie reflektieren das Gewaltgeschehen. Ihre Reaktionen befördern den zukünftigen Schutz der Tochter oft erfolgreich. Daß solche Stärke allein das Problem der sexuellen Gewalt gegen Kinder allerdings nicht aus der Welt schafft – das betont Breitenbach zu Recht. Ihre Studie trägt dazu bei, den Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse zu schärfen. Claudia Breger

Eva Breitenbach: „Mütter mißbrauchter Mädchen. Eine Studie über sexuelle Verletzung und weibliche Identität“ (Forschungsberichte des BIS, hg. von Sabine Gensior & Carol Hagemann- White, Bd. 3). Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1992, 174 Seiten, 32 DM