: Der Widerspenstige ohne Zähmung
■ Gespräche mit Marlon Brando: Wie er Talkmaster Dick Cavett im Rededuell besiegte und was der Schauspieler sonst noch über das Fernsehen zu sagen hat
Es geschah Anfang der siebziger Jahre. Wer es sah, wurde nicht nur mit einer der ersten Talk- Shows konfrontiert, sondern bekam auch gleichzeitig vorgeführt, wie der Gefahr vorgebeugt werden kann, daß eine belanglose Plauderei daraus wird. Die Rede ist von Dick Cavetts Ur-Talk-Show und davon, daß er eines Tages Marlon Brando ins Studio holte. Es sollte eines der zähesten Rededuelle des Profi-Plauderers werden, Sieger nach Punkten wurde Brando. Anstatt Intimes preiszugeben, trieb der Widerspenstige Cavett an den Rand des Verzweiflung, indem er stoisch darauf bestand, nur über die amerikanischen Indianer zu sprechen.
Anders als Jimi Hendrix, der auf Cavetts Frage, wann er denn so aufstehe, schlitzohrig mit „jeden Morgen“ geantwortet hatte, trieb Marlon Brando der Show jeglichen Unterhaltungswert aus, lieferte dafür aber ein Bildschirmexperiment frei Haus, in dem das Medium selbst auf die Probe gestellt wurde.
Wie es weiterging, nachdem die Zuschauer in andere Kanäle abgewandert waren, gab Brando Jahre später zum besten, als er sich mit Playboy-Starinterviewer Lawrence Grobel unterhielt. Die Gespräche der beiden liegen jetzt vollständig und in deutscher Übersetzung vor.
Cavett und Brando gingen nach ihrem Clinch friedlich essen, wurden allerdings von einem Fotografen verfolgt, der schon seit einiger Zeit hinter Brando her war. Daß Brando den Fotografen kurzerhand verprügelte, amüsierte Dick Cavett dann weitaus mehr, als die aus seiner Sicht mißlungene Show, während Brando zur Tagesordnung überging und auch dem Entertainer erläutert haben dürfte, warum er dem Medium Fernsehen eher kritisch gegenübersteht – ein Thema, das auch in den Gesprächen mit Lawrence Grobel großen Raum einnimmt. Daß die einzelnen Kanäle in einem „widerlichen Wettbewerb“ um Einschaltquoten kämpfen – wie Brando meint – und daß die immer größere Konkurrenz nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Qualitätsmaßstäbe führt, darf auch der deutsche Kanalspringer seit der Geburt der Privaten immer wieder staunend zur Kenntnis nehmen. Ebenfalls fest steht für Brando, daß die künstlerischen Entscheidungen im Fernsehen inzwischen vollständig von Geschäftsleuten kontrolliert werden und es nur noch darum geht, wer mit welcher Plattitüde wen abserviert.
Und dennoch: Der Schauspieler arbeitet derzeit selbst an einem großen Fernsehprojekt und will in einer Mischung aus dokumentarischen und fiktiven Szenen die Geschichte der nordamerikanischen Indianer erzählen, wie sie dezimiert und bis in die heutige Zeit hinein in Bodenrechtsfragen betrogen werden. „The first American“ soll die Serie heißen. Vier Folgen sind finanziert, für zehn weitere muß er noch Geld auftreiben, was eher schwierig sein dürfte, da sich Brando ein für Amerika heikles Thema vorgenommen und zu allem Überfluß auch noch Probleme mit der Fernsehwerbung hat.
In „The first American“ sollen Geschmacklosigkeiten, die während der „Holocaust“-Ausstrahlung gang und gäbe waren, vermieden werden: Hier erschien nach einer Konzentrationslagerszene tatsächlich eine lächelnde Frau auf dem Bildschirm und warb für Hundefutter.
Es könnte also sein, daß wir noch einige Zeit auf Marlon Brandos Geschichte der US-amerikanischen Indianer warten und solange mit den Gesprächen vorliebnehmen müssen, die er mit Grobel führte. In ihnen geht es nicht zuletzt auch darum, wen er in der Branche schätzt. Woody Allen ist einer seiner absoluten Favoriten, was unter anderem damit zusammenhängen dürfte, daß Allen lieber Klarinette spielte, als einen „Oscar“ in Empfang zu nehmen. Brando mag da wohl so etwas wie Seelenverwandschaft verspürt haben: War er doch der erste, der zu einer Oscar-Verleihung nicht erschienen ist. Nominiert war der Mime als Don Vito Corleone in Coppolas „Der Pate“, und zwar im selben Jahr, als er Dick Cavett das Fürchten lehrte. Jürgen Berger
Lawrence Grobel: „Gespräche mit Marlon Brando“. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. Beltz/Quadriga-Verlag. 180 Seiten. 24,80 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen