Stadtmitte: Recht zu haben hilft nicht weiter
■ Die Vereinigung der Akademien als Not-Hochzeit ist der Situation angemessen
Man kann der DDR-Akademie kaum zum Vorwurf machen, daß sie sich nicht gerade um die grelle Satire und die Ansätze einer radikaleren DDR-fremden bis -feindlichen Essayistik bemühte. Das war das – etwas ins Intelligentere zurechtgestutzte – Spiegelbild der DDR-Kultur.
Wäre die künftige Akademie der einzige Raum für künstlerische Kontroversen samt der Vergegenwärtigung von Vergangenheit, es müßte auch um die Präsenz von Personen gekämpft werden. Auch von Nicht-Mitgliedern, die sich natürlich dem Verdacht aussetzen, Mitglied werden zu wollen.
Natürlich wäre eine andere Form der Akademiegründung vorstellbar: Sie muß aber von der Mehrheit der Künstler gewollt werden. Natürlich müßte eine Auskunft der Gauck-Behörde über den Grad des Einflusses des MfS auf die Akademie insgesamt und den einzelnen Künstler nicht als Gesinnungsschnüffelei wirken, sondern als einfache, logische Neugier: zu wissen, was war.
Allerdings kann der IM-Bescheid nicht die Auseinandersetzung verdrängen, Antworten sind reichlich im Angebot, jetzt müßten die richtigen Fragen erarbeitet werden. Vielleicht ist hier ein Kompromiß vorstellbar: als Forschungsauftrag der Akademie, der den Grad des Verstricktseins erfassen will.
Egal wie er ausfällt – Heiner Müller und Christa Wolf gehören in so ein Gremium – und ich fürchte, daß weder bei der Vereinigung noch bei einer Neugründung der Komponist Johannes Wallmann berücksichtigt werden wird. Politiker dürfen nicht über Künstler entscheiden, aber West- Künstler über Ost-Künstler auch nicht, und natürlich auch nicht umgekehrt – und vor allem dürften Ost-Künstler nicht über jene entscheiden, die aus der DDR herausgedrängt oder in der DDR auf verschiedene Art isoliert worden sind. Es muß aber entschieden werden.
Es wäre längst entschieden worden, wenn nicht die zuletzt genannte Gruppe energisch Einspruch erhoben hätte. Die Erfahrungen einer Minderheit stellen eine erhebliche Provokation für die Erfahrungen der Nicht-Minderheit dar. Diese Differenz, Außenstehenden kaum vermittelbar, erzeugt eine Einsamkeit, die sich gern aufheben würde durch allgemeines Verstehen jener Minderheiten-Erfahrungen.
Aus diesem Wunsch, sich aus der Isolation zu lösen, kommt wohl die Energie für das ständige Sich-Einmischen, kaum aus einem unterstellten „Berufsdissidententum“ oder aus „Fundamentalismus“. Solche Wertungen stärken nur das Gefühl, mit jedem Tag der neuen West-Existenz die frühere (mehr oder minder) ablehnende Haltung zur DDR als subtiles Handikap in der Gegenwart zu erleben.
Ich denke, solche Absurditäten müssen angenommen und wissenschaftlich oder künstlerisch gestaltet werden. Sonst kämpft noch in 20 Jahren eine kleine Gruppe ehemaliger DDR- Kritiker gegen eine etwas größere Gruppe ehemaliger DDR-Nutznießer um die Präsenz auf einem dann stattfindenden Kongreß. Gegen die Trostlosigkeit dieser Vorstellung hilft auch nicht, recht zu haben. Lieber Stücke über diese verrückte Situation schreiben als in Briefen um Normalität bitten. Die Vereinigung der Akademien als Not-Hochzeit ist der Situation angemesssen. Lutz Rathenow
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