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Häuser aufbauen, nicht abbrennen

Serie: Umland-Utopien (fünfte Folge): In Storkow soll bald das erste Friedensdorf entstehen, wo Deutsche und Ausländer gemeinsam leben sollen / Noch sind Barrikaden in vielen Köpfen abzutragen  ■ Von Gerd Nowakowski

Noch liegt der alte Storkower Sportplatz so verwildert da wie immer, und doch ist nichts mehr wie zuvor. Eine Idee, die bislang nur in den Köpfen existiert, hat bereits so viel Kraft entwickelt, daß eine ganze Stadt davon umgetrieben wird.

Die Idee, die Rupert Neudeck vom Notärzte-Komitee „Cap Anamur“ gegen die rassistischen Angriffe setzen will, hat eine einfache Botschaft: Zeichen setzen und nicht Häuser abbrennen, sondern Häuser aufbauen. Im rund fünfzig Kilometer östlich von Berlin liegenden Storkow wurde im Dezember 1992 dieser Gedanke von der Bürgermeisterin Gabriele Baum (FDP) sofort aufgegriffen. Die couragierte Frau, die in der Vergangenheit an Schutzwachen vor Ausländerunterkünften teilgenommen hat, brachte den hochfliegenden Gedanken auf die Erde zurück: Auf dem alten Sportplatz im Stadtteil Karlslust soll das erste deutsche Friedensdorf entstehen, in dem wohnungsbedürftige deutsche Familien und Flüchtlinge friedlich zusammenleben sollen.

Ganz zufällig kommt die Initiative der Stadt nicht: Vor zwei Jahren war die 6.300-Einwohner-Stadt wochenlang das Ziel der Randale von Rechtsradikalen aus Königs Wusterhausen und Fürstenwalde. Bereits in der Schule, so haben die Lehrer festgestellt, sympathisieren viele Jugendliche mit rechtem Gedankengut.

Neudeck, dessen Notärztekomitee nicht über Geld und hauptamtliche Mitarbeiter verfügt, hat lediglich den Anstoß gegeben. Wenn diese Idee in Storkow dabei ist, konkrete Gestalt anzunehmen, dann liegt das trotz der politischen Unterstützung durch die Potsdamer Staatskanzlei vor allem an der vielen ehrenamtlichen Arbeit und dem Engagement vor Ort. Die (ohne Honorar gefertigten) Architekten-Pläne für das Dorf nahe dem idyllischen Storkower See sind fertig; am 20. Juli soll mit dem Bau begonnen werden. Auf 10.000 Quadratmetern will der Förderverein, dessen Vorsitzende die Bürgermeisterin ist, in zwei Reihen insgesamt 17 Wohnhäuser bauen. Eingeschossig werden sie sein, aber kein Haus soll dem anderen gleichen. In manchen Häusern sollen große und kleine Familien wohnen können, in anderen wird es Einzelapartments oder auch Wohngemeinschaften geben – umgeben von einer parkähnlichen Landschaft mit Wegen und Teichen. Daneben sind ein Abenteuerspielplatz und ein Jugendzentrum geplant, erläutert Frauke Postel. Sie arbeitet für die Stadt Storkow und ist für das Projekt freigestellt.

Frauke Postel geht es nicht nur darum, daß künftig die Menschen dort friedlich zusammenleben. Eine ebenso große Bedeutung für den Erfolg des Projekts hat für sie bereits die Bauphase. Sie wirbt derzeit um Jugendliche aus Storkow, die beim Bau mithelfen wollen. „Die Jugend soll gegen die Zerstörung den Aufbau setzen“, sagt die Sozialarbeiterin, die aus Westberlin stammt. Sie setzt darauf, daß Jugendlichen, die selbst für rechte Parolen anfällig sind, beim Bau darüber nachdenken, was sie dort tun und warum sie das tun. Derzeit macht Frauke Postel Werbung in den Schulen und lädt arbeits- und ausbildungslose Jugendliche zu Infoveranstaltungen ein. Natürlich werde die halbjährige Bauphase nicht konfliktfrei abgehen, doch sie ist davon überzeugt, daß die Erfahrungen die Einstellungen verändern werden. „Die Jugendlichen müssen auch lernen, sich zu entscheiden und für ihre Sache einzustehen“, sagt sie im Hinblick auf mögliche rechte Angriffe.

Die Bedingungen für eine Mitarbeit sind nicht gerade attraktiv. Die Jugendlichen müssen sich für ein halbes Jahr verpflichten. In dieser Zeit erhalten sie neben Unterkunft und Verflegung sowie der Übernahme von Sozial- und Krankenversicherung pro Monat lediglich ein Taschengeld von 500 Mark. Dennoch haben acht Jugendliche bereits zugesagt. Weitere zehn werden noch gesucht. Die Jugendlichen sollen, angeleitet von einem halben Dutzend Fachleuten, den Bau gemeinsam mit anerkannten Flüchtlingen oder ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeitern voranbringen. Auch die Bundeswehr wird mithelfen. Das in Storkow stationierte Pionier-Bataillon wird mit Erlaubnis des Bonner Verteidigungsministeriums zehn bis fünfzehn Rekruten abstellen, die ebenfalls aus der Gegend stammen.

Die Gemeinde bringt zwar den Baugrund ein, hat aber kein Geld für die Bauarbeiten. Deshalb ist der Verein auf Geld- und Materialspenden angewiesen. Der Berlin- Brandenburgische Bauunternehmer-Verband versprach bereits die Lieferung von Baumaterial, und der Zigarettenkonzern Reemtsma hat kürzlich 25.000 Mark gespendet. Die Bauunternehmer haben auch ein weiteres getan: Sie wollen die Jugendlichen nach dem Abschluß der Bauarbeiten bevorzugt in ein Ausbildungsverhältnis in ihren Mitgliedsfirmen übernehmen. Ein überbetrieblicher Ausbildungsträger wird zudem während der Bauarbeiten die Jugendlichen begleitend in Mauerfachberufen ausbilden.

Doch die härteste Arbeit steht dem Projekt wohl noch bevor: die Barrikaden aus Angst und Verunsicherung aus den Köpfen der Menschen zu räumen. Je näher der Baubeginn rückt, je konkreter das Friedensdorf wird, um so unruhiger wird es in Karlslust, einem Stadtteil, in dem zahlreiche Plattenbauten neben kleinbürgerlichen Einfamilienhäusern stehen.

Es beginnt bei den Kindern, die gelangweilt auf ihrem Mountain- Bike neben Micha's Spielothek herumlungern. Sie denken bereits wie ihre Eltern, nur reden tun sie ungeschminkter. „Türken und Rumänen sind die schlimmsten, da muß man gleich mit der Schrotflinte draufhalten“, weiß ein vierzehnjähriger Junge mit der Aufschrift „Minnesota Vikings“ auf der Baseball-Mütze. Seine Kameraden sind gleich zur Hand mit den Geschichten von den klauenden Ausländern. In der Meinung, daß sie das mit dem Friedensdorf „nicht so gut finden“, sind sie sich einig. Ein Schüler hat dafür eine makabre Begründung: „Wenn da im Dorf auch Deutsche wohnen, kriegen die das doch ab, wenn die Skinheads die Häuser anzünden“, sagt er, und seine Kumpels nicken.

Die Eltern, das zeigte sich erneut anläßlich einer Vor-Ort-Sendung des Mitteldeutschen Fernsehens am vergangenen Mittwoch abend, äußern sich da vorsichtiger. Nicht einer, der in der erregt geführten Debatte direkt gegen das Projekt sprechen würde. Doch nahezu alle argumentieren nach dem „Ja, aber“-Prinzip. Der Standort sei völlig ungeeignet, behauptet ein Häuschenbesitzer, der erkennbar um den Wertverlust seines Hauses durch die neue Nachbarschaft bangt. Andere sorgen sich, daß rechtsradikale Angriffe die touristische Idylle zerstören oder das geplante Jugendzentrum auf dem Gelände der „Ausgangspunkt für Randale“ sein könnte.

„Wir haben Angst um unsere Kinder“, äußert ein Holzarbeiter vor der Sendung an einer Imbißbude und meint, sie könnten Opfer rechter Angriffe werden. „Wir müssen die neue Kanalisation zahlen, und die Ausländer kriegen alles geschenkt“, klagt er außerdem. Und seine Frau zischt böse: „Aasbande“.

Seine Ruhe wird Storkow nicht so schnell finden. Manches Vereinsmitglied findet dies nicht das falscheste. Und auch der streitbare Rupert Neudeck lauscht den Anwürfen und Vorbehalten gelassen und hört nicht auf, zu argumentieren und zu werben. Das sei eine zwar quälende und erschreckende, aber dennoch notwendige Auseinandersetzung, sagt er hinterher. Und der Storkower Gemeindepfarrer, der vor zwei Jahren als Organisator einer Telefonwarnkette das Hauptziel von rechtsradikalen Schlägern wurde, findet es ermutigend, daß sich nicht schweigend die Vorurteile formieren und festigen können, sondern daß jetzt geredet wird und damit die Chance zur Verständigung besteht.

Man ahnt plötzlich inmitten der emotional geführten Debatte, daß es solcher öffentlichen Auseinandersetzungen, nicht des Schweigens bedarf, um Zivilcourage zu entwickeln. Nur dann hat auch das Friedensdorf eine Chance.

Kontakt: Förderverein Friedensdorf, Fritz-Reuter-Straße 15, 0-1233 Storkow

Die Serie wird am Montag kommender Woche fortgesetzt.

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