: „Bewegung aus allen Schichten“
■ Politiker und Wissenschaftler verfassen Memorandum für eine emanzipierte Gesellschaft / Staatsbürgerrecht ändern
Fünf Menschen verbrannten in Solingen, drei in Mölln, es ist nur ein Zufall, daß weitere Brandherde gerade noch rechtzeitig gelöscht werden konnten. „Wir leben in einer Situation, die jederzeit explodieren kann“, sagte die Politikprofessorin Gesine Schwann vom Otto-Suhr-Institut, „die Politik hat versagt“, ergänzte ihr Kollege Hajo Funke, „die Lage wird noch schlimmer werden“, warnte Zafer Senocak vom „Bund der Einwanderer aus der Türkei“, und „wir haben ein gefährliches Demokratie- Defizit“, stellte der Erziehungswissenschaftler Michael Brumlik fest. – Die vier zählten zusammen mit weiteren prominenten Wissenschaftlern, Gedenkstättenleitern und Politikern, zu den Teilnehmern eines vom OSI organisierten Symposiums „Rechtsextremismus und Jugendgewalt“ im Haus der Wannseekonferenz. Drei Tage lang saßen die Wissenschaftler mit Studenten zusammen und analysierten die Renaissance des völkischen Nationalismus sowie die Vorgeschichte und den Verlauf von konkreten Gewaltakten wie in Rostock im Sommer 1992. Anschließend waren sich die Symposiums-Teilnehmer einig, daß eine radikale politische Wende notwendig sei, damit diese Republik nicht zerstört werde. Sie verfaßten deshalb ein gemeinsames Memorandum „Bürgerrechte in Deutschland“. Darin fordern sie eine große „Civil-Right-Bewegung“ wie in den USA der sechziger Jahre. „Meinungsklima und Rechtsterrorismus gefährden unser Zusammenleben“, heißt es zur Begründung im Aufruf.
Die Unterzeichner, darunter der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse, der CDU-Professor Dieter Oberndörfer, der Leiter der Gedenkstätte Wannseekonferenz, Gerhard Schoenberner, der ehemalige Leiter von Aktion Sühnezeichen, Dietrich Goldschmidt, und Bulent Tulay vom Bund der türkischen Einwanderer in München stellen fest: Es bedarf eines „rechtspolitischen Konsenses“, um die Gewaltwelle zu stoppen, einen „neuen sozialen Konsens“, der Jugendlichen eine berufliche Perspektive bietet und einen „liberalen Konsens“ darüber, die Diskriminierung der Inländer mit ausländischem Paß zu bekämpfen. In ihrem Memorandum fordern sie das kommunale Wahlrecht, die doppelte Staatsbürgerschaft und eine grundsätzliche Änderung des Staatsbürgerrechts. „Jedes hier geborene Kind soll automatisch Deutscher werden.“ Wir brauchen eine neue „Emanzipationsbewegung, die die Durchsetzung dieser Ziele nicht länger den Parteien überläßt“, heißt es weiter. Diese Bewegung müsse „aus allen Schichten der Gesellschaft kommen und mit den politisch und sozial Diskriminierten gleichberechtigt zusammenarbeiten“. aku
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