: Die Arroganz der Metropole
■ betr.: "Pfälzer Ami", "Gigantische Kneippkur", taz vom 15.6.93, "Der Triumpf der Provinz", taz vom 16.6.93
betr.: „Pfälzer Ami“, „Gigantische Kneippkur“, taz vom 15.6.93, „Der Triumph der Provinz“,
taz vom 16.6.93
Ich bin vor 40 Jahren in der Pfalz geboren, ganz hinten an der saarländischen und französischen Grenze. Die Menschen dort hat man, auch in der übrigen Pfalz, lange als Hinterpfälzer denunziert und als sture Blödköppe stigmatisiert. Dort hinten – heute heißt der Landstrich Westpfalz – ist auch Thomas Dooley geboren, ein 32jähriger, der sich vom C-Klassen-Verein TuS Bechhofen bis in die Bundesliga und in das US-Nationalteam hochgearbeitet hat. Tom Dooley hat in der Fachoberschule für Technik, als er sich für sein Architekturstudium qualifizierte, Englisch gehabt, das natürlich nicht ausreicht, um amerikanischen Reportern Interviews zu geben. Aber außer einem „einwandfreien Pfälzer Dialekt“ spricht Dooley ein ausgezeichnetes Deutsch. Ich bezweifle, daß Thomas Samboll jemals einen Fuß auf den Betzenberg gesetzt hat, sonst wüßte er, daß auch viele US-Amerikaner regelmäßig zum 1. FCK gehen. Wie er dennoch dazu kommt zu behaupten, „auf dem Betzenberg wird eh nicht lange geredet, schon gar kein Englisch“, bleibt sein Geheimnis.
[...] Hans Hermann Kottes „Soviel Hektik um noch einen Pfälzer Langweiler“ läuft ins Leere, weil Rudolf Scharping, der vielleicht wirklich ein Langweiler sein mag, kein Pfälzer, sondern in Lahnstein bei Koblenz geboren und damit zweifelsfrei Rheinländer ist. [...]
Leider zitiert Michael Sontheimer in seiner „Querspalte“ den dümmlichen, weil die Bevölkerung eines Teils eines ganzen Bundeslandes diskriminierenden Satz „Ein Pfälzer als Kanzler in der Geschichte der Bundesrepbulik ist schon zuviel“. Weiter schließt er aus der Tatsache, selbst über 30 Jahre in Millionenstädten gelebt zu haben, nur Menschen aus Großstädten verfügten über die Qualifikation, ein angesehener Bundeskanzler zu werden.
Zu Helmut Kohl kann jeder stehen wie er will, ich mag ihn auch nicht. Aber Oggersheim ist ein Teil von Ludwigshafen, das wiederum zusammen mit Mannheim und Heidelberg eine kulturelle Einheit bildet. In diesem Raum leben über zwei Milllionen Menschen, weshalb hier von Provinz keine Rede sein kann. Darüber hinaus werden die meisten Städte in der Pfalz von der SPD regiert, auch Oggersheim ist traditionell sozialdemokratisch, woraus ersichtlich ist, daß sich nicht alle Pfälzer, sondern höchstens die Hälfte mit Kohl identifizieren. M. Sontheimers 3,6 Millionen Pfälzer beziehen sich auf Rheinland-Pfalz, die Pfalz ist der kleinste der fünf Regierungsbezirke.
[...] Vielleicht sollte man bedenken, daß in der Pfalz das Hambacher Schloß steht mit seiner demokratischen Tradition von 1832 und 1848 und daß Ernst Bloch in Ludwigshafen geboren und aufgewachsen ist und dortselbst das Ernst-Bloch-Archiv eine beachtenswerte Arbeit leistet. Aber das würde ja nicht zum gängigen Pfalz- Bild passen.
Heide Platen hat vor zirka zwei Monaten eine Reportage über Matthias Spindlers Buch „Die Pfalz. Revolverrepublik am Rhein“ in der taz veröffentlicht. Frühzeitig kämpften Pfälzer Separatisten für mehr Demokratie, als anderswo noch der Obrigkeit gedient wurde. Die Pfalz verfügt außerdem über eine rege Künstlerszene, vor allem in Kaiserslautern mit dem über die Pfalz hinaus bekannten Kulturzentrum „Kammgarn“ und in Ludwigshafen, wo das avantgardistische „Buero für angewandten Realismus“ gerade eine Ausstellung zur Thematik „Pfalz“ organisiert hat. [...]
Ich glaube, daß man bei aller Distanz nicht eine ganze Gruppe von Menschen über einen Kamm scheren darf, auch nicht hypothetisch. Gerade in diesen Tagen sollte dieser Grundsatz gültig sein. Schließlich schließt man auch von Gauweiler nicht auf alle Münchner und von Lummer auf alle Berliner. [...] Günter Rohrbacher-List,
Ludwigshafen am Rhein
[...] Sollte der Pfälzer das Amt des anderen Pfälzers (und hier sollte man – ohne jeglichen Rassismus – nicht differenzieren: ein Pfälzer bleibt ein Pfälzer) übernehmen, so blicken ich, und alle aufgeklärten Humanisten – als Pfälzer darf ich mich nicht dazuzählen – werden es mir gleichtun, mit Schrecken und großer Scham auf den Tag, an dem wieder mal ein von Ausländern bewohntes Haus brennt, und unser Kanzler der internationalen Presse beichten muß, daß er zur Tatzeit mit Freunden bei Wein und Pfälzer Wurst zusammensaß, und nicht auf einer Vernissage Sekt schlürfte, wie es sich für einen Kosmopoliten gehört! Heiko Thesen, Bonn
Michael Sontheimer möge sich in Territorial- und Stammesgeschichte besser orientieren, ehe er seine amüsanten Artikelchen schreibt, denn die Prämisse, Scharping sei Pfälzer, stimmt nicht.
Das Bundesland heißt Rheinland-Pfalz. Die Pfalz ist dessen südlicher Teil. Helmut Kohl wurde als Untertan Bayerns geboren, und die hohen Beamten der bayrischen Landesregierungen bis 1945 waren übrigens immer Pfälzer und Franken, nur die Hausmeister Baiern (das „i“ stimmt wirklich). Helmut Kohl ist als Ludwigshafener echter Pfälzer, Scharping aber wohnt in Lahnstein, im rheinländischen, ehemals preußischen Teil des Besatzungsretortenkindes Rheinland-Pfalz.
Scharping vermittelt also zwischen Rhöndorf und Oggersheim und hat deswegen, wenn er den Spagat zwischen Adenauer und Kohl fertigbringt, eine langjährige politische Zukunft vor sich. Möge dabei dennoch ein wenig Rot übrigbleiben. Ludwig Holzheid, Mainz
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