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Eine Elbeexpedition für Öko-Glasnost

Sächsische und tschechische Umweltgruppen tourten mit einem Laborauto durch Nordböhmen  ■ Von Detlef Krell

Jan Knezek ist mit seinem Trinkwasser leidlich zufrieden. Der Laborbefund, den der pensionierte Hydrogeologe an diesem heißen Samstag nachmittag von einer Wandzeitung auf dem Platz des Friedens im tschechischen Usti nad Labem abschreibt, überrascht ihn nicht sonderlich. Nur knapp unter der zulässigen Höchstgrenze von 50 Milligramm pro Liter liegt der Nitratgehalt. Auch der ph- Wert von 6,7 sei „gerade noch erträglich“. Die Leitfähigkeit übersteigt jedoch den Normalwert um fast das Doppelte. Ein Beleg für überhöhten Salzgehalt und dem Brunnenbesitzer eine „Warnung, daß nicht alles in Ordnung ist“.

Im lokalen Rundfunk hatte er erfahren, daß heute ein Labor- Auto des „Öko Projekts Elbe Raum“ aus Dresden auf dem zentralen Platz der Stadt stehen und Wasserproben entgegennehmen wird. „Eine sehr sinnvolle Aktion“, findet er, der sich selbst in der „Liga für die Rettung der Stadt Ustin.L.“ engagiert. Viele Leute wüßten bisher über die ökologische Situation der Region kaum Bescheid, hätten aber unter den gesundheitlichen Folgen zu leiden. Die Lebensdauer sei hier um drei bis fünf Jahre kürzer als der Durchschnitt in der Tschechischen Republik.

Am provisorischen Labortisch werden innerhalb weniger Minuten 40 Wasserproben abgegeben und gleich unter den Augen der PassantInnen untersucht. Sechs Proben weisen gefährlich hohe Nitratkonzentrationen auf, der Salzgehalt ist fast durchweg zu hoch, und der ph-Wert liegt nahezu ohne Ausnahme im sauren Bereich.

Valentijn van't Riet ist Student aus den Niederlanden und absolviert beim Dresdner Öko-Projekt ein Praktikum. Er nutzt sein frisch erworbenes Tschechisch, um den Betroffenen geduldig die Meßwerte zu erklären. Gespräche seien ihm noch wichtiger als die Laborbefunde, denn auf der dreiwöchigen Exkursion durch Nordböhmen habe er vor allem ein erhebliches Defizit an Öffentlichkeit festgestellt: „Der größte Erfolg unserer Fahrt ist, daß örtliche Öko- Gruppen zum ersten Mal mit Vertretern von Behörden und Betrieben an einem Tisch gesessen haben.“

Usti nad Labem (Aussig), eine Kreisstadt an der Elbe mit 100.000 EinwohnerInnen, ist die letzte Station dieser Fahrt durch das hochindustrialisierte Gebiet der Tschechischen Republik. Fast drei Wochen lang waren die Wasser-Experten der Dresdner Grünen Liga mit ihrem zum Labormobil umgerüsteten Militärlastwagen an Ohre (Eger) und Bilina unterwegs, zwei Flüsse, die mitten durch das Industriegebiet fließen und in die Elbe münden. Ins Leben gerufen wurde das Projekt im vorigen Jahr, während der ersten Begegnung nichtstaatlicher Umweltgruppen aus Böhmen und Sachsen in Ustin.L. Wichtigster tschechischer Partner für die Exkursion war das „Grüne Haus“ in Litvinov bei Most, eine junge Initiative, die sich vor allem der ökologischen Bildung widmet.

In jedem Ort wurden Industrieabwässer und Flußwasser analysiert, die BürgerInnen konnten auf dem Marktplatz ihr Trinkwasser untersuchen lassen, Umweltgruppen zeigten Ausstellungen. Abends trafen sich die Öko-Gruppen mit Behördenvertretern und Industriemanagern, Bürgermeistern und den EinwohnerInnen zum öffentlichen Gespräch.

„Ein sehr anspruchsvolles Programm, das uns nicht in jeder Stadt gelungen ist“, meint Valentijn van't Riet rückblickend. Nur etwa die Hälfte der eingeladenen Firmen und Funktionäre war erschienen. Aus jedem Gespräch am Runden Tisch sollte eigentlich eine Arbeitsgruppe hervorgehen, die sich über den Abend hinaus mit den angesprochenen Themen befaßt. „Das könnte am besten in Litvinov funktionieren, dort ist die örtliche Gruppe ziemlich gut organisiert.“ Das „Grüne Haus“ habe einen Drei-Punkte-Plan über ökologische Sofortmaßnahmen unterbreitet, den Betriebe und Behörden nun in einem Vertrag festschreiben wollen. „Bisher war es hier einfach nicht üblich, über ökologische Probleme miteinander zu diskutieren“, faßt der Niederländer die für ihn erstaunlichste Erfahrung der Tour zusammen.

Das treffe übrigens auch für die regionalen Umweltgruppen selbst zu. „Ich denke, wir haben erreicht, daß sich einige Gruppen über die Stadtgrenzen hinaus endlich kennengelernt haben.“ Für die noch schwache und zersplitterte tschechische Umweltbewegung könne das ein sehr nachhaltiges Ergebnis sein. Leider würden zu oft auch die Umweltinitiativen dem von manchen Behörden und Politikern sorgsam gepflegten Vorurteil aufsitzen, daß sich „die Leute sowieso nicht für Umweltschutz interessieren“.

Lea Petrusova ist Gymnasiastin. Nach dem Abitur möchte sie in Prag Umweltschutz studieren. Mit zwei Gleichaltrigen hat sie vor einem halben Jahr die Öko-Gruppe „Aeterna“, auf deutsch „Ehrlichkeit“, gegründet. Während der heutigen Aktion konnte sie sich „mit vielen LehrerInnen unterhalten“. Aus eigener Erfahrung wisse sie, daß „die Schüler in Böhmen sehr enttäuscht sind, weil sie an den Schulen nichts über Umweltschutz erfahren“. Diese LehrerInnen hätten sich nun am Stand mit Info- Material versorgt und sich nach Literatur erkundigt. „Das ist nicht viel, aber das ist gut“, findet Lea. Viele Jugendliche hätten sich zwar erkundigt, was sie für die Umwelt tun können, „doch daß sie sich nun gleich zusammensetzen und sagen: Wir nehmen uns ein konkretes Projekt vor, das war nur so ein Traum“. Verurteilen möchte sie deswegen niemanden: „Hier müssen die meisten Leute zuerst ans Geld denken und jede Krone dreimal umdrehen. Da bleibt für Ökologie kaum Zeit.“

Die Gruppe „Aeterna“ möchte sich besonders mit ökologischer Erziehung beschäftigen, arbeitet aber unter denkbar schlechten Verhältnissen. Geld gibt es weder von der Stadt noch vom Staat, auf dem Vereinskonto liegen 2.000 Kronen, das sind knapp 120 Mark. Doch die Schülerin läßt nicht vermuten, daß sie sich allzu lange mit Geldsorgen aufhält.

Angeregt durch die Laborfahrt habe „Aeterna“ begonnen, sich mit ökologischen Beiträgen in der Lokalpresse zu äußern. An der Hochschule in Ustin.L. soll eine Öko-Bibliothek aufgebaut werden. Neben internationaler Literatur werden dort die aktuellen Umwelt-Daten der Stadt und der Region zur Verfügung stehen. Ein Vorhaben, das nicht ohne Mitarbeit von Behörden und Betrieben gelingen kann. Von einem Forum mit Vertretern der beiden größten Chemiebetriebe dieser Stadt konnte „Aeterna“ die Zusage mit nach Hause nehmen, daß die Bibliothek auch aus den Kassen dieser Umweltverschmutzer finanziert werde.

Die einheimischen Umwelt- Aktivisten waren eher skeptisch in jenes abendliche Forum gegangen. Chemopharm und Spolek Chemopetrol sind Staatsunternehmen, deren Werbung ebenso wie deren „Haus-Geruch“ in der Stadt allgegenwärtig sind. Der von Dutzenden Industriegiganten und kommunalen Kloaken malträtierten Bilina geben sie den Todesstoß. Kurz vor der Elbmündung gibt es kein Leben mehr in dem Fluß, dafür einen ph-Wert von 2,0 – die blanke Säure.

Den Managern ging das Engagement vor ihren Werktoren offenbar doch nicht am Anzug vorbei. Sie stellten sich der Diskussion um die vom Labormobil gemessenen Abwasserwerte und legten, erstmals für die tschechischen TeilnehmerInnen, ihre Umweltschutz- Konzepte dar. Die Unternehmen erklärten auch, daß sie bereits mit Investoren verhandeln würden, und wer auch immer den Zuschlag erhalten werde, der entscheide über das künftige Profil der beiden Industriegiganten. Der Bau von Kläranlagen sei keine Frage mehr, in den nächsten fünf Jahren würden hunderte Millionen Kronen in sauberes Abwasser investiert. Dagegen wird der Ausstieg aus der Chlorverarbeitung noch als Utopie behandelt: „Wir müßten die Hälfte der Produktion einstellen. Das ist auch nicht der Weg, den westliche Unternehmen gehen“, meinte Josef Dubisar, Umwelt-Chef bei Chemopetrol. Das Chlor sei kein Grund zur Sorge. „Selbstverständlich“ würde beim Umgang mit Chlor in der Fabrik unmittelbar am Stadtrand „nach den gesetzlichen Normen gehandelt“. Das Angebot des Öko-Projekts, über Chancen für den Chlor-Ausstieg mit Greenpeace zu diskutieren, fand wenig Anklang.

Schläfrige Ruhe legt sich über den riesigen Zentralplatz von Ustin.L. Die Rockgruppe hat eingepackt, das Laborauto ist abgefahren, nur die Wandzeitung mit den Meßwerten steht wie vergessen. Einige Schritte weiter ragt eine bizarre Plastik in den Himmel. Ein blattloser, bemalter Baum, darauf sind eine Gasmaske und Abfälle montiert. „Inversions- Denkmal“, von Unbekannten errichtet zur Erinnerung an jene schlimmen Wochen im Februar, als die Luft in Nordböhmen wie Säure fraß. Geändert hat sich seitdem nur das Wetter. „So ist das hier“, kommentiert Lea Petrusova bitter, „die Leute schimpfen jedes Jahr über die Inversion. Aber, kaum haben sich die Smogwolken verzogen, ist das Thema vergessen.“

Anmaßend erhebt sich eine futuristisch verspielte Betonarchitektur über die Rudimente der historischen Bebauung des Platzes. Der Dauersmog hat sich an den Wänden in dunklen Fahnen verewigt. Eine Freitreppe führt hinauf zum Haus der Kultur. Dort will „Öko Projekt Elbe Raum“ heute abend das Resümee seiner Fluß- Expedition mit Politikern und Bürgerinitiativen diskutieren.

Der Einladung gefolgt sind der Wasser-Verantwortliche des tschechischen Umweltministeriums, Jaroslav Kinkor, der Geschäftsführer des Sekretariats der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe, Jiri Hannsmann und der Direktor der Ohre-Flußverwaltung, Vaclav Svejkovsky sowie mehrere nordböhmische Bürgerinitiativen.

Mit geradezu väterlicher Milde geben die Politiker den jungen UmweltschützerInnen zu verstehen, daß ihr Engagement durchaus ehrenwert, aber dennoch wenig nützlich sei. Man messe doch selber unentwegt alle Flußpartien und Abwässer, wisse detailliert Bescheid über Nitrate, Schwermetalle und Grenzwerte. Jeglicher Fortschritt brauche jedoch seine Zeit und Spezialisten und koste nicht wenig Geld. Das Aktionsprogramm der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe und das Phare-Programm der EG für das „Schwarze Dreieck“ werden zitiert. Im übrigen könne sich jeder Bürger mit „Anregungen“ an die Behörden wenden, empfiehlt Jaroslav Kinkor. Genau das kennen die tschechischen Umweltgruppen. Vera Bartoskova von der „Initiative zur Rettung der Stadt Duchcov“ erinnert daran, daß der Kampf gegen die Braunkohlebagger vor den Stadttoren bisher an eben diesen Behörden scheiterte. Die betroffene Bevölkerung werde schlicht für „nicht zuständig“ erklärt.

Dennoch zieht der Dresdner Sven Seifert eine positive Bilanz der Expedition. „Umweltdaten zu finden, war nicht unser wichtigstes Ziel. Wir wollten eine längst überfällige Diskussion beginnen. Das haben wir erreicht.“

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