: „Geisterstadt“ als Siedlung ohne Autos geplant
■ Stellplatz gehört nicht „zu einer Wohnung wie das Badezimmer“ / Steglitzer Grüne halten die US-Fläche „Parks Range“ in Lichterfelde für besonders geeignet
Die Autogegner machen Ernst: Wo sich die Gelegenheit bietet, wollen sie Neubauviertel so geplant sehen, daß die dort hinziehenden Menschen auf den Besitz eines Autos verzichten. „Wohnen und Arbeiten ohne Auto“ heißen die Devise und die Arbeitsgruppe, die sich intensiv mit den Möglichkeiten beschäftigt. Neben dem Areal, das durch die geplante Schließung des Tempelhofer Flughafens frei wird, soll auch das bisher von den US-Streitkräften genutzte Gebiet „Parks Range“ am südlichen Rand von Lichterfelde zu einer solchen Siedlung werden.
Das freiwerdende Gelände dürfe nicht „mit ausschließlichem Blick auf Quanten vergeudet“ werden, mahnte Günter Schlusche für die BVV-Fraktion der Grünen/AL, die zu einer Informationsveranstaltung ins Steglitzer Rathaus eingeladen hatte. Dieser Meinung schloß sich vor rund 60 Interessierten auch Joachim Klose von der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen an, wenngleich er zu bedenken gab, daß die von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) geplanten 80- bis 100.000 Wohnungen eine riesige Menge seien. Er gestand zu, daß die sogenannte Geisterstadt bisher „stiefmütterlich“ vernachlässigt worden sei.
Die Idee, ein Viertel so zu gestalten, daß dort weitestgehend autofrei gewohnt und gearbeitet werden könne, befürworteten Klose und sein Kollege Kurt Nelius von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Der forderte eindringlich, die für ein autofreies Wohnen notwendige Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) frühzeitig zu schaffen. Strittig war im Sechs-Herren-Podium vor allem die Frage, ob der Verzicht auf das Auto dauerhaft freiwillig oder rechtlich bindend sein solle.
Matthias Klussmann, Gesellschafter eines Wohnungsbau-Unternehmens, plädierte für ausschließliche Anreize, damit das Auto „nur noch für die Wochenendreise an den Baggersee“ genutzt werde. Dem widersprach Michael Lehmbrock vom Deutschen Institut für Urbanistik: Da die höchsten Kosten des ÖPNV beim Betrieb entstünden, werde dieser zunächst geringgehalten. Das veranlasse viele, doch das Auto zu nutzen, was den ÖPNV von Beginn an benachteilige. Die Idee „Wohnen und Arbeiten ohne Auto“ sei eine „positive Wendung“, die ermögliche, diesen Kreislauf aufzubrechen. Lehmbrock hoffte, daß so mit dem Vorurteil aufgeräumt werde, daß „ein Stellplatz zu einer Wohnung gehöre wie das Badezimmer“.
Bedarf für autofreie Siedlungen sah auch Volkmar Strauch vom IHK-Ressort Stadtentwicklung. Allerdings bedürfe es „der sehr genauen Untersuchung“, welche Arten von Gewerbe dort anzusiedeln seien, für wen dies überhaupt interessant sein könne. Gleichzeitig riet Strauch, die rechtlichen Grundlagen für das Weglassen von Stellflächen und den verbindlichen Verzicht auf Autos genau zu prüfen. Christian Arns
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