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Vertrieben aus dem Land des Donnerdrachens

In Nepal leben 100.000 Flüchtlinge aus dem Himalaya-Staat Bhutan in Lagern / Ihre Vorfahren waren im 19. Jahrhundert aus dem heutigen Gastland eingewandert / Die Behörden in Bhutan werfen ihnen Mitgliedschaft in einer verbotenen Partei vor / Die Bewohner ganzer Dörfer sind geflüchtet  ■ Von Ingrid Decker

Harima ist weit über 60 Jahre alt. Seit 18 Monaten lebt sie im Lager BeldangiI, dem größten von sechs Flüchtlingscamps im Süden Nepals. Mit Entschlossenheit, aber auch mit mühsam unterdrückter Trauer erzählt sie die Geschichte ihrer Flucht aus dem Dorf Dillipur im Geylegphug-Distrikt in Südbhutan. „Alles begann vor mehr als drei Jahren“, erinnert sich Harima. Damals untersagten die Behörden den Männern, weiter zu Hause zu leben. Sie wurden verdächtigt, Mitglieder der verbotenen „Bhutan People's Party“ zu sein, die sich für die Rechte der ethnischen Minderheiten im Lande einsetzte. „Wir Frauen mußten alle männlichen Familienmitglieder im Dschungel verstecken und versorgen“, sagt Harima.

Als die Polizei immer öfter ins Dorf kam und nach den Männern fragte, wurde auch für die Frauen die Situation unerträglich. Drei Nächte lang marschierten deshalb alle Dorfbewohner bis zur indischen Grenze, um von dort mit Lastwagen nach Nepal weiter zu reisen, denn in Indien sind die Flüchtlinge nicht willkommen.

Sanman Rai (30), Campsekretär in BeldanigI, ist auch Flüchtling aus Bhutan. „Ich war nach der Volkszählung in die KategorieII eingestuft worden, das hieß, ich mußte das Land verlassen“, berichtet er. Nur diejenigen, die ein Steuerzertifikat von 1958 für ihr Land vorweisen konnten, galten fortan als bhutanische Staatsbürger. Rais Eltern leben heute noch in seiner Heimat. Der Sohn, 1958 noch gar nicht geboren, war verdächtigt worden, Mitglied der „Bhutan People's Party“ zu sein. „Ich wurde mit vorgehaltener Maschinenpistole gezwungen, ein Dokument zu unterschreiben. Ich wußte nicht, was in dem Dokument stand.“ Vierzehn Tage hatte Rai Zeit, um das Land zu verlassen.

In den Flüchtlingscamps in Nepal hat nun das Warten ohne Hoffnung begonnen. Die Ansammlung der Bambushütten ist in Blocks eingeteilt. An jeder Tür hängt ein Schild mit Namen, Blocknummer und Heimatdorf der Bewohner. Nur wer Ausweispapiere aus Bhutan mitbringt oder von anderen Dorfbewohnern identifiziert werden kann, wird in den Lagern aufgenommen. Die Regierenden in Bhutan jedoch betrachten diese Menschen als illegale Wanderarbeiter, Terroristen oder indische Staatsbürger, auch wenn ihre Ausweise das Siegel König Jigmes tragen. Unter der Schirmherrschaft des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge haben internationale Hilfsorganisationen den Bau der Bambushütten, sanitären Anlagen, Schulen und Gemeinschaftsräume finanziert. „Wir sind dankbar für diese Hilfe“, sagt Sanman Rai, „aber wir müssen nach Bhutan zurückkehren, so schnell wie möglich.“

Menschen, die zu Hause vom Morgengrauen bis in die Nacht hart gearbeitet haben, sind hier zum Nichtstun verdammt. Zwar gehen die Kinder zur Schule und die Frauen kochen das Essen für die Familie, doch die meisten Flüchtlinge sind ohne Beschäftigung. Eine englische Hilfsorganisation gibt Frauen und Männern Wolle, um daraus lange Schals zu stricken, die dann zu Decken zusammengenäht werden. Dafür gibt's dann ein paar Rupien.

Schlimmer jedoch als die Langeweile ist für viele die Erinnerung an die erlittenen Demütigungen, die Gewalt und die Angst. Wie ein Sturzbach bricht es aus der 29jährigen Kandalmaya Dulal heraus, einer Witwe mit zwei Kindern, als sie ihre Schreckensgeschichte erzählt. „Die Regierung in Bhutan erlaubte uns nicht mehr, die letzten Riten für unsere Toten auszuführen, wir sollten Kühe töten, wir sind Hindus, wie können wir das tun?“ Auch Kandalmaya wurde gezwungen, ein Dokument zu unterschreiben. Sie hatte die Wahl, zu unterschreiben und zu gehen oder dort zu sterben. „Ich wollte nicht sterben, deshalb habe ich unterschrieben“, bekennt sie.

Im Lager Goldap sind einige Bewohner mit den nepalischen Behörden in Konflikt geraten. Es geht ums Feuerholz, ein großes Problem in den Camps. Da nicht genügend Kerosin verteilt wird, sammeln die Campbewohner trockene Äste und Blätter im Wald. Und manchmal wird eben ein Baum gefällt. „Bei so vielen Menschen gibt es immer auch ein paar Kriminelle“, entschuldigt sich der Campsekretär in Goldap. Da die Wälder sich im Besitz der nepalischen Regierung befinden, gibt es häufiger Ärger mit der Polizei.

Brennstoff ist für die nepalische Bevölkerung ohnehin rar geworden – so schaffen 100.000 Flüchtlinge in diesem bereits übervölkerten Gebiet weitere ökonomische und soziale Probleme. Die Flüchtlinge, auch wenn sie Nepali sprechen, lebten seit Generationen in Bhutan, sie haben keine Beziehung mehr zu dem Land, aus dem ihre Vorfahren meist im 19. Jahrhundert gekommen sind.

S. K. Pradhan, ehemaliger Generalsekretär der „Bhutan People's Party“ im Exil, der jetzt ein „People's Forum for Human Rights, Bhutan“ leitet, lebt mit seiner Familie auch in einem der Flüchtlingscamps. Er glaubt nicht, daß die Regierungen von Bhutan und Nepal dieses Problem lösen können, solange die indische Regierung nicht vermittelnd eingreift. „Indien ist unser direkter Nachbar, Nepal ist für uns ein Drittland, aber die indische Regierung war bisher sehr passiv“, klagt er. Der nepalische Premierminister Girija Prasad Koirala appelliert an die Weltöffentlichkeit und möchte deren Aufmerksamkeit auf diese vergessenen Flüchtlinge lenken. „Aber lieber würde ich dieses Problem mit Bhutan zusammen lösen, denn bisher hatten wir immer freundschaftliche Beziehungen untereinander“, meinte der Regierungschef kürzlich.

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