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„Somalia-Einsatz ist eine Mogelpackung“

■ Interview mit Rolf Wenzel, dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes

taz: Sind Sie eigentlich für oder gegen den Einsatz deutscher Truppen in Somalia?

Wenzel: Ich bin dafür. Ich will aber eine Verfassungsmäßigkeit haben. Im Moment halte ich den Einsatz für nicht verfassungskonform. Wenn die rechtliche Klarheit gegeben ist, durch das Verfassungsgericht jetzt, nach Eingabe der SPD, oder durch eine Änderung des Grundgesetzes, dann sind wir, wenn auch nicht mit fliegenden Fahnen, dafür.

Welchen Charakter hat der Somalia-Einsatz für Sie?

Wenzel: Es ist mehr als ein klassischer, humanitärer Einsatz. Normalerweise braucht man keinen Selbstschutz, wenn man humanitäre Hilfe leistet. Wir haben in befriedeten Ländern geholfen, wo die Bevölkerung froh war über unser Kommen, wie bei den Erdbebenkatastrophen in Italien oder Armenien. In Somalia ist das anders. Wir sehen ja die Bilder von Kämpfen. Wir haben Splitterwesten anzulegen, brauchen Selbstverteidigungswaffen bis hin zum Schützenpanzer. Nigerianische Truppen müssen uns schützen. Das ist doch mehr als ein humanitärer Einsatz. Entweder ein Blauhelmeinsatz oder es geht sogar noch darüber hinaus. Wenn es zu Kampfhandlungen kommt, müssen wir kämpfende Soldaten aus anderen Ländern versorgen. Wer das macht, gehört aber automatisch zur Kampftruppe.

War humanitäre Hilfe nur ein vorgeschobener Grund der Bundesregierung?

Ich meine, daß es eine Mogelpackung ist. Es ist eben mehr, darf aber nicht mehr sein, weil sonst die Bundesregierung vorsätzlich am Grundgesetz vorbeioperiert hätte. Man kann nur unterstellen, das sie wider besseres Wissen so gehandelt hat, beweisen kann man nichts. Die Spitzenpolitiker, inbesondere Herr Kohl, Herr Genscher und auch der Bundessicherheitsrat, haben jahrelang behauptet, daß unser Grundgesetz solche Einsätze nicht hergeben würde. Das hat im Golfkrieg eine große Rolle gespielt. Und jetzt, kurze Zeit später, soll es plötzlich anders sein? Das glauben wir nicht.

Wie denken die Soldaten inzwischen über den Einsatz?

Die Stimmung unter den Soldaten ist im Augenblick gelassen. In Somalia hat keiner Zeit zum Nachdenken. Da herrscht die Anspannung, daß jederzeit was passieren kann. Aidid will Mogadischu verlassen und sich in den Norden absetzen, vielleicht geht er auch in den Süden. Die Situation ist uneinschätzbar. Die Soldaten, die noch in der Heimat sind, wissen, daß durch die SPD-Klage Rechtssicherheit geschaffen wird, bevor ihr Einsatz beginnt. Das Bundesverfassunsgericht wird ja herausfinden, ob der Einsatz mit dem Grundgesetz konform ist oder nicht. Die Politik hat das ja nicht geschafft, was wir als Bundeswehrverband sehr bedauern.

Wie gefährdet sind die Soldaten vor Ort im Moment?

Aktuell sind sie nicht gefährdet, aber wir wissen sehr wohl, daß der General Aidid die Bevölkerung aufgewiegelt hat gegen die UNO. Wir haben das UNO-Emblem auf unseren Fahrzeugen und auf unseren Uniformen. Wir unterscheiden uns nicht von den anderen, die zum Kampf eingesetzt sind.

Im Notfall sind die deutschen Soldaten nicht ausreichend geschützt. Muß man dagegen nichts unternehmen?

Das geht ja nicht. Weil es ja ein humanitärer Einsatz sein soll. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen nach dem Karlsruher Urteil gegeben sind, sollte man sich neu überlegen nicht nur Schützenpanzer, auch richtige Panzer mitzunehmen, Artillerie-Geschütze und bewaffnete Hubschrauber.

Würde sich die Bundeswehr als Armee blamiert fühlen, wenn sie jetzt wieder abziehen müßte?

Nein, da wird die Bundeswehr sich überhaupt nicht blamiert fühlen. Weil sie nicht aus eigenem Antrieb nach Somalia gegangen ist. Wir haben den Befehl bekommen und gehorcht. Wenn sich einer blamiert hat, dann nur die politisch Verantwortlichen. Interview: Melanie Kunze

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