: Verblüffung beim Geldabheben
■ Ausstellung in der Sparkasse: „Kunst — Künstler — Versuchschulen. Bremen 1920-1933“
„Beim Malen ist Hilde besonders eifrig und liefert oft überraschend schöne Bilder“: ein Zeugnis von 1928, aus einer der drei Versuchschulen, die es in Bremen gab: Schleswiger Straße, Stader Straße und Helgolander Straße.
Was aus Hilde wurde, ist unbekannt, eins aber verrät der Text im Schaukasten der Sparkassenausstellung am Brill: „Mädchen waren auch an den Versuchschulen fast ausschließlich in Papp-und Näharbeitsgemeinschaften zu finden. Hervorragende Zeichner und Linolschneider waren nur die Jungen.“
Und deshalb läßt sich in dieser Ausstellung der Schulgeschichtlichen Sammlung Bremen auch nicht der Werdegang der Hildes, sondern nur der von Rudolf, Hilmer, Gerhard und anderen Jungen verfolgen.
Aber der Spaß an dieser kleinen, anrührenden Ausstellung soll keineswegs mit grämlicher Diskriminierungsmiene verdorben werden. Denn all die historischen Dokumente, die Bilder, Zeichnungen und Fotos aus längst vergangener Zeit wirken inmitten der kühlen Atmosphäre des Geldverkehrs wie eine lebendige Botschaft menschlicher Geschichte.
Versuchschulen — das waren Schulen, an denen nicht geprügelt wurde, an denen die Arbeiterkinder aus der Vorstadt die Welt über den künstlerischen Ausdruck be- greifen lernen sollten. Und davon legen die Zeichnungen, die kleinen Texte, die Drucke und die Bilder Zeugnis ab. Von Rudolf Neubarth, zum Beispiel, der an der Helgolander Straße vom Arbeiten mit dem Linoldruck-Handwerkszeug offenbar so begeistert war, daß er als Zahntechniker später „das erste Gebiß mit Linolschneidewerkzeug herstellte“.
Oder die Kinder des Malers Christian Arnold, die ihren Eltern zu Weihnachten ein selbstverfaßtes „Till Eulenspiegel-Buch“ schenkten (“Till rechnete sich zu den echten 'Hafenbriten–. Fußballspielen konnte er nicht. Aber Knochenhauen, das ging wie geschmiert. Kloppen konnte er auch nicht.“) Ein Klassenfoto aus der Stader Straße zeigt eine Wandbemalung, die Christian Arnold heimlich in den Frühjahrsferien als Überraschung der Klasse „schenkte“ und die erst jetzt allmählich unter der rüden Übermalung wieder hervorgeholt und rekonstruiert werden kann.
Erwachsene Künstler und künstlerisch arbeitende Schüler haben das Lernen an diesen Bremer Schulen der Weimarer Zeit geprägt. Und daß die Ausstellung den Abglanz der Spuren vermitteln kann, die von den damals Lebenden hinterlassen worden sind, zeigt sich an der Verblüffung mancher Kunden, die in die Halle stürmen, um ihre Geldgeschäfte zu erledigen — und beim Hinausgehen plötzlich stehenbleiben, Zeit haben und mit versonnener Miene von Dokument zu Dokument spazierengehen. Sybille Simon-Zülch
Sparkasse am Brill: Zu den kassenüblichen Zeiten
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen