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Einzige Möllner Tatzeugin sagte aus

■ Neunjähriges Mädchen unter Ausschluß der Öffentlichkeit vernommen / Erinnerung an viele Details der ursprünglichen Aussage fehlte / Familie des Kindes muß nach Drohungen im Verborgenen leben

Schleswig (dpa) – Die einzige Augenzeugin der Brandanschläge in Mölln, ein neun Jahre altes Mädchen, hat am Dienstag im Mordprozeß vor dem Oberlandesgericht in Schleswig ausgesagt. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit berichtete die einzige Tatzeugin, wie sie in der Tatnacht zwei vermummte Männer vor dem Haus der türkischen Familie in Mölln beobachtet hatte. Allerdings konnte sich das Mädchen während der Vernehmung an viele Details, die sie den Polizisten zwei Tage nach der Tat erzählt hatte, nicht mehr erinnern.

In der Nacht zum 23. November vorigen Jahres waren bei dem Anschlag in Mölln eine Frau und zwei Mädchen, darunter eine Schulfreundin der Zeugin, getötet worden. Die Angeklagten, Lars Christiansen (19) und Michael Peters (25), hatten ihre inzwischen widerrufenen Geständnisse abgelegt, nachdem sie mit der Aussage des Mädchens konfrontiert wurden.

Die Eltern des Kindes hatten sich zwei Tage nach der Tat an die Polizei gewandt. Damals sagte das Mädchen aus, sie habe in der Tatnacht auf die Toilette gehen müssen und dabei vor dem gegenüberliegenden Haus ein helles Auto mit zwei Männern gesehen. Auf der Beifahrerseite sei ein großer Mann ausgestiegen, habe die Haustür aufgemacht und die Fußmatte angezündet. Danach sei ein kleinerer Mann auf der Fahrerseite ausgestiegen und habe eine brennende Flasche in das Haus der türkischen Familie geworfen. Dann habe das Haus in Flammen gestanden. Wichtige Einzelheiten dieser Aussage decken sich mit dem ersten Geständnis des Angeklagten Peters, der inzwischen seine Einlassungen widerrufen hat.

Vor dem Gericht wiederholte das Mädchen zwar einige Details aus ihrer Polizeiaussage, auf viele Fragen konnte sie aber keine klare Antwort geben. Um eine entspannte Gesprächsatmosphäre zu schaffen, war eigens vor der Richterbank ein Tisch mit sieben Stühlen aufgestellt worden. Daran nahmen das Kind, ihr Vater, der Vorsitzende Richter, sowie eine Kinderpsychologin Platz.

Nebenklägervertreter Hans- Christian Ströbele sagte, die Aussage des Kindes vor Gericht sei „mit Vorsicht zu genießen“. Man könne von einer Neunjährigen nicht erwarten, daß sie tatsächlich Erlebtes und Erzähltes über einen langen Zeitraum auseinanderhalte. Ihre Aussage enthalte jedoch Details, die sich ein Kind nicht ausgedacht haben könne.

Durch die Vernehmung der Eltern und der Großmutter des Kindes versuchte das Gericht, die Aussagen des Kindes kurz nach der Tat in den Prozeß einzuführen. Die Mutter berichtete, sie habe zuerst ihre Tochter nicht ernst genommen. Erst nachdem das Mädchen der Großmutter viele Einzelheiten erzählt habe, sei sie mit ihm zur Polizei gegangen. Die Familie wurde nach Aussagen der Mutter im März anonym am Telefon bedroht. „Wenn Sie die Aussage nicht zurücknehmen, werden zwei Kinder sterben.“ Die Familie lebt inzwischen unter einem anderen Namen an einem unbekannten Ort.

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