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„Politik im Kopf, Paragraphen im Mund“

Was die Bundeswehr in Somalia soll, ist umstritten genug. Doch was die deutschen Soldaten vor Ort tatsächlich machen, geht nach Meinung der Klägerin vor dem Karlsruher Verfassungsgericht längst über den humanitären Auftrag hinaus.

Verfassungsrichter Hans Hugo Klein ist sich seiner Urteilskraft völlig sicher. „Daß es etwas anderes ist, Wasser zu produzieren, als Waffen zu transportieren, liegt auf der Hand“, versichert er. Aber wo sei denn die Rede davon, daß die Bundeswehr in Somalia Kriegsgerät transportiere? Im einschlägigen Kabinettsbeschluß vom 21. April doch wohl nicht. Nein, da gebe es ein anderes Schriftstück, schiebt SPD-Anwalt Michael Bothe nach. In einer Truppeninformation vom selben Tag habe Generalinspekteur Klaus Naumann dieses Detail festgehalten.

Bothe spricht von einem „Verwirrspiel“, das die Bundesregierung bei der Entsendung ihrer Soldaten treibe. Auch die acht Verfassungsrichter, die am Dienstag in Karlsruhe über den Eilantrag der SPD auf Stopp der Somalia-Mission verhandeln, haben es nicht leicht, sich Klarheit zu verschaffen. Was die Bundeswehr in Somalia soll, ist umstritten genug. Aber was tut sie eigentlich tatsächlich?

Ist es eine humanitäre Aktion, wie die Bundesregierung behauptet? Oder hat sich die Mission längst über einen Blauhelm-Auftrag hinaus zu einem „Kampfeinsatz“ gewandelt, wie SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose behauptet? Klose verweist auf die Rules of Engagement für die deutschen Soldaten. Da sei ihnen nicht nur die Selbstverteidigung erlaubt, sondern auch die Verteidigung anderer UN-Angehöriger und von Einrichtungen unter UN-Schutz.

Verteidigungsminister Volker Rühe, der in Bonn oft genug den militärischen Schwerpunkt der Aktion eingeräumt hatte, zählt hier in Karlsruhe wie ein Pfadfinderführer seine guten Taten auf: „Schulen, Krankenhäuser, Erntehilfe!“ Dafür schlüpft Außenminister Klaus Kinkel in die Rolle des Soldatenministers und warnt, es wäre „katastrophal“ für die „Moral“ der Bundeswehr, sollte sie in ihrer schwierigen Umbruchsituation nun auch noch diese Schmach erleiden und aus Somalia zurückgerufen werden.

Das paßt zu dem Verdacht, den Klose in Karlsruhe äußert: „Es geht nicht konkret um Hilfe für Menschen, es geht um eine Veränderung der Politik.“ Er zieht ein Papier aus dem Verteidigungsministerium hervor: Nach der deutschen Abstinenz im Golfkrieg müsse man nun in Somalia mit Soldaten mitmachen, heißt es dort, um „ein deutliches Signal zu setzen“. Dabei seien „verfassungspolitische Bedenken“ zurückzustellen.

Auch Ernst Gottfried Mahrenholz, der Vorsitzende des Zweiten Senats des Verfassungsgerichts, attestiert der Regierung eine schleichende Wandlung des Einsatzes. Anfangs seien Hilfslieferungen für die somalische Bevölkerung im Norden des Landes geplant gewesen. Jetzt, in Belet Huen, liege der Schwerpunkt auf dem Nachschub für andere UN-Truppen. Rühe widerspricht. An der Qualität des Einsatzes habe sich nichts geändert. „Die Unterlagen“, kontert Mahrenholz, „haben mir ein anderes Bild vermittelt.“

Die Konfusion läßt freilich auch die SPD nicht unberührt. Ihr Anwalt Michael Bothe zitiert gleich zu Beginn der Verhandlung aus Goethes Faust: „Naht Ihr Euch wieder, schwankende Gestalten“, so müsse den Richtern wohl die Politikerversammlung erscheinen, die ihnen zuletzt vor zwei Monaten wegen des Awacs-Streits in den Gerichtssaal geschneit war. Die SPD, die ihren Eilantrag gegen die Somalia-Mission theoretisch schon früher hätte einreichen können, kommt kräftig ins Schleudern, als sie erklären soll, gegen was sich ihre Klage eigentlich richtet: Gegen den Beschluß der Bundesregierung vom 21. April? Gegen die späteren Präzisierungen? Oder gegen eine mögliche „Dynamik“, die der Einsatz entwickeln könnte?

Prestigeverlust höchstens für die Regierenden

Einen kleinen Sieg hatten die Sozialdemokraten schon vor der Verhandlung errungen. Daß die Richter das Angebot von UN-Generalsekretär Butros Ghali ablehnten, in Karlsruhe auszusagen, hat bei der SPD große Erleichterung ausgelöst. „Hätte Butros geredet, hätten wir einpacken können“, sagt ein SPD-Mann. Denn wie im Awacs-Fall spielt für die Richter eine große Rolle, welche Folgen es hätte, wenn sie einen Rückzug der Deutschen aus Somalia verfügen sollten.

„Ernsthaften Schaden“ für die deutsche Außenpolitik befürchtet Kinkel im Fall eines Stopps der deutschen Beteiligung. „Notfalls“ müsse allerdings die Regierung selbst diesen Rückzug beschließen, sollte sich die Lage in Belet Huen deutlich verändern, räumt der Außenminister auf Fragen der Richter ein. „Ein Prestigeverlust für die Regierung“, die die Bundeswehr trotz unklarer Verfassungslage in diesen Einsatz geschickt habe – das ist der einzige größere Schaden, den Klose im Fall eines SPD-Erfolgs sieht. Welcher Einschätzung sich die Richter anschließen werden, ist bei der mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen. Der SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt, der die SPD-Niederlage im Awacs-Streit nicht vergessen hat, präsentiert schon sein Urteil: „Die Richter haben Politik im Kopf und Paragraphen im Mund.“ Hans-Martin Tillack, Karlsruhe

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