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Shake your things

„Täten sie es ohne Musik, würden sie verhaftet“ erklärte Bob Hope angesichts eines flotten „Watusi“ — Ron Manns „The Twist“ dokumentiert Amerikas Beitrag zur Entkrampfung der erotischen Begegnung auf dem Parkett  ■ Von Christof Boy

Eins, zwei, Wiegeschritt, und eins, zwei, Wiegeschritt. Autsch! Auf komplizierte Schrittkombinationen und tölpelhafte Gehversuche des Tanzpartners lassen sich heute nur noch diejenigen ein, die immer noch glauben, daß man in der Tanzschule durch einen Fehltritt buchstäblich auf die Liebe des Lebens tritt. Schon in den fünfziger Jahren wurden die Standardtänze, die man nie so gut lernen konnte, daß man sie tatsächlich beherrscht hat, und die damit verbundenen Anweisungen in Sachen Etikette von den Jugendlichen eher als Gängelung empfunden. Beim Tanztee wußten die Eltern ihre Kinder unter guter gesellschaftlicher Kontrolle jener Menschen mit Blockwartcharakter, die sich Tanzlehrer nannten und vor allem aber darauf achteten, daß sich oberhalb der Hüften auch ja nichts bewegte.

Mit dem Rock'n'Roll geriet die Welt der steif dahertanzenden Spazierstock-Verschlucker aus den Fugen. „Shake Your Things“, das war ein Aufruf zur allgemeinen Entkrampfung auch der erotischen Begegnung auf dem Parkett, die bei der älteren Generation jener Jahre sicherlich mehr Empörung ausgelöst hat als die Dirty Dancers und Lambada-Leiber dieser Tage.

Tatsächlich rührte die neue Musik nicht nur an den Ängsten einer prüden Elterngeneration. „Ihr seid die Beute des Teufels“, warnte ein Pädagoge im amerikanischen Fernsehen vor dem verderblichen Einfluß des Rock'n'Roll. Woher diese abscheuliche Musik kam, mußte zu Zeiten des Kalten Krieges jedem Kid natürlich tüchtig eingebleut werden: „Das Zweitaktmuster wurde von den Kommunisten eingeschleust“, und wenn diese Schreckgespenste immer noch nicht ausreichten, hauten Pädagogen und Weißkittel den Jugendlichen Gutachten über die Gesundheitsgefährdung der neuen Droge um die angeblich lärmgeschützten Ohren.

Welche absurden Wege sich die Erwachsenen noch einfallen ließen, um die Plage namens Rock'n' Roll wieder loszuwerden, zeigt der kanadische Regisseur Ron Mann in seinem Dokumentarfilm „Twist“. Die scheinbar beste Art, der Musikwelle endgültig den Garaus zu machen, demonstriert ein gesetzter Discjockey in seiner Fernsehshow: Er zerschlägt eine Schellackplatte mit einer Rock-'n'- Roll-Nummer an der Tischkante. Auch Bob Hope war nicht besonders angetan von den „vulgären“ neuen Sitten auf dem Tanzparkett: „Täten sie es ohne Musik, würden sie verhaftet.“

Zu spät. Der Rock'n'Roll hatte die Musikwelt ins Wanken gebracht. Mit ihm kam ein Tanz auf, der den Erwachsenen noch mehr Kopfschmerzen bereitete, weil er zum erstenmal die Körperpartie in Bewegung brachte, die bei den Standardtänzen sittsam steif gehalten wurde: die Hüften. Der Twist brachte den Weißen endlich jenes Körpergefühl bei, das mehr Erotik zuließ als jede andere Schrittkombination im Ballsaal. Ron Mann stellt die Entwicklung des Rock- 'n'-Roll-Tanzes als Revolution dar. Endlich konnten die Kids befreit tanzen: keine Bindung an den Partner, keine komplizierten Schrittfolgen. Die Regeln des Twist bildeten nur einen leicht zu erlernenden Rahmen, der alles zuließ, wenn man Phantasie auf die Tanzfläche mitbrachte. Wichtig war nur, sich selbst einzubringen, die Musik zu fühlen, nicht nur zu hören. „Wenn du tanzt, ohne die Hüften zu bewegen, tust du nichts“, sagt Hank Ballard, der „Erfinder“ des Twist.

Hank Ballard hat die legendäre Nummer komponiert und eingespielt. Aber erst die Version von Chubby Checker machte sie weltberühmt: „Come on, let's twist“. Das alte Prinzip der Musikindustrie. Der Twist, von den schwarzen Kids auf der Straße abgeguckt, wird stubenrein gemacht. Bald sieht man weiße Mittelschichtskinder in der Fernsehreihe „American Bandstand“ twisten – ein Telekolleg des Tanzes, natürlich in einer entschärften Fassung. Nicht Hank Ballard mit seinen anspielungsreichen Textzeilen, sondern der saubere Chubby Checker bringt die Musik zu den Massen.

„Twist, an instructional dance film“ (Übers.: Twist, ein belehrender Tanzfilm) von Ron Mann, das hört sich nach staubtrocken visualisierten Vorlesungen über das Wesen des Tanzes an. Der Titel ist reiner Ulk. Die Lektionen, die den Film in Kapitel unterteilen, sind Archivaufnahmen aus jener Zeit: eine Twist-Tanzstunde, vorgetragen von Erwachsenen, die dem Phänomen im letzten Moment noch einen seriösen Anstrich geben wollten. Zum Brüllen komisch sind die meisten der alten Aufnahmen, die Ron Mann mit Interviews zu einem dichten Film zusammenwebt. Allerdings bittet er auch die Musiker und Twist-Stars jener Jahre noch einmal aufs Parkett und gibt sie so ein wenig der Lächerlichkeit preis. Tänzer und Tanz sind nun mal in die Jahre gekommen. Das Verrückte und Überdrehte des Tanzes läßt sich viel besser mit den Archivaufnahmen dokumentieren. How to do the Twist. Es nicht zu tun, war schon bald ein echter Makel. Vor der legendären „Peppermint Lounge“ hielten 1961 auf dem Höhepunkt des Twist-Fiebers Abend für Abend die Rolls-Royce der gehobenen Schicht, und die Girls- Gruppe „The Nixonettes“ versuchte Richard Nixon während des Wahlkampfes ins „Weiße Haus“ zu twisten.

Keine Welle ohne Profit. Während das Fernsehen zunächst versuchte, den Tanz zu entschärfen, kam die Musikindustrie schon bald auf den Geschmack. „Come on let's twist again“, sang Chubby Checker im darauffolgenden Sommer, wieder ein Nummer-Eins-Hit, doch das Ende war schon abzusehen. Mit Genuß zeigte Ron Mann die aberwitzigen Mutationen des Twist. Im Land der tausend Tänze strecken Teenager ihren Arm von der Nase weg. Das nennt sich dann „The Elephant Walk“. Geboren werden nacheinander der „Watusi“, der „Frug“, der „Fly“, bei dem die Hände kreisen wie eine Fliegenklatsche, und der „Molecule A-Go-Go“, den uns ein dozierender Chemieprofessor empfiehlt, weil dieser Tanz die Bewegung der Atome in einem Wassermolekül nachahmt. Wer davon genug hat, springt in den Pool und tanzt Unterwasser-Twist. Durch Bullaugen können die Partygäste das Hüftwankeln im Wasser beobachten. In seiner rhythmischen Geschlossenheit und der urkomischen Montage, für die sich Ron Mann drei Jahre Zeit gelassen hat, ist „The Twist“ ein „Atomic Café“ des Tanzes.

Ron Mann: „Twist – an instructional dance film“, Kanada 1992. Mit: Chubby Checker, Hank Ballard, Mama Lu Parks & The Parkettes u.a.

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