: „Kein Blumentopf zu gewinnen“
Die Zerrissenheit, zwischen zwei Kulturen zu stehen, ist der Einsicht gewichen, daß man aus beiden Kulturen auch Bereicherung ziehen kann / Portrait des Schriftstellers Nevfel A. Cumart ■ Von Ilyas Mec
Seine Gedichte sind keine Klagelieder über die Entwurzelung der Gastarbeiter in der Bundesrepublik, er ist kein Mitglied in Polykunst und ist nicht in den Anthologien des Institutes für Deutsch als Fremdsprache vertreten.
Nevfel A. Cumart, 1964 im pfälzischen Lingenfeld geborener und in Stade an der Elbe aufgewachsener Türke, möchte seine ausländische Herkunft nicht zum Aushängeschild für seine Lyrik machen. Er ist in erster Linie Schriftsteller, und als solcher möchte er sich auch verstanden wissen. Seit acht Jahren schreibt er Lyrik, vier Poesiebände in blumigemDeutsch hat er bisher veröffentlicht.
Cumarts erster Gedichtband „Im Spiegel“ erschien bereits während seiner Schulzeit 1983. Der damals noch „sehr scheue junge Mann, der es nicht mal wagte, seiner Freundin die Gedichte vorzutragen“, mußte prompt in einem Café vor 190 Menschen aus seinem Gedichtband vorlesen. Rundfunk und Presse berichteten darüber, sahen sie doch in ihm „den armen jungen Türken, der seinen Identitätskonflikt in herzergreifenden Gedichten zu Papier brachte“. „Damals gehörte sehr viel Mut dazu“, erzählt Cumart, „aber ich durfte nicht zurückstecken. Denn im Grunde ist alles, was man veröffentlicht, auf eine Art eine Selbstentblößung.“
Weil er gut deutsch sprach, geriet Cumart zudem in die Situation des Übersetzers und Vermittlers, der von den Landsleuten zu vielen Anlässen mitgenommen wurde. „Während meine Klassenkameraden in der Schule rumhockten, war ich oft unterwegs und mußte helfen und übersetzen. Ich habe den Fehler gemacht, die Probleme dieser Menschen zu meinen eigenen Problemen zu machen“, erinnert sich Nevfel Cumart.
Nach dem Abitur 1984 legte Cumart eine Zwischenetappe ein und machte eine Lehre als Zimmermann, um „nach 13 Jahren geistiger Tätigkeit etwas mit den Händen zu schaffen“. Viele aus seinem Bekanntenkreis konnten es damals nicht verstehen, daß ihr „Vorzeigetürke“ seine akademische Laufbahn unterbrach und auf den Bau ging. Doch die Universität und die Schule sieht der junge Dichter als etwas Weltfremdes, und er wolle „nicht im Elfenbeinturm der Universität verharren“. 1985 erschien Cumarts Lyriksammlung „Herz in der Schlinge“.
1986 zog Cumart nach Bamberg, wo er sein Studium der Turkologie, Arabistik, Islamwissenschaft und Iranistik aufnahm. „Mit Literatur kann man in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen, es sei denn, man hat einen großen Namen“, gesteht Nevfel Cumart. „Als ausländischer Schriftsteller zu überleben ist noch schwieriger.“ Neben der schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet der junge Dichter auch als Übersetzer und freier Bildungsreferent, hält Vorträge über türkeikundliche Themen und über die Religion des Islam. Seinen Unterhalt verdient er zudem mit journalistischen Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften. Im Mai dieses Jahres organisierte Cumart einen deutsch- türkischen Schriftstelleraustausch in Düsseldorf.
Richtig populär wurde Cumart erst nach seinem dritten Buch, „Ein Schmelztiegel im Flammenmeer“, das Ende 1990 im Dagyeli- Verlag in Frankfurt erschien. Im Dezember wurde der in Bamberg lebende Dichter mit dem Literatur-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Seine Gedichte handeln inzwischen kaum noch von der inneren Spaltung. Anstelle der Zerrissenheit, zwischen zwei Kulturen zu stehen, ist bei Nevfel Cumart die Zuversicht entstanden, daß beide Kulturen eine Bereicherung darstellen können. Aus diesen beiden Kulturen hat Cumart auch seinen individuellen Stil geschöpft: die Synthese aus türkischer Tradition und deutschsprachiger Moderne. Diese Mischung macht sich bei ihm in der Sprache bemerkbar. „Wenn ich sage, wenn sie wüßten, was für große Autoren wir haben, meine ich Nazim Hikmet und Orhan Veli Kanik. Wenn ich sage, ich halte nicht viel von unseren Politikern, dann meine ich Helmut Kohl und Konsorten.“
Cumart möchte sich nicht in eine Nationalitätenschublade stecken lassen, schwimmt gegen den Strom des Entweder-oder-sein- Müssens und sagt von sich, daß er sowohl Türke als auch Deutscher sei. Seine Gedichte schreibt er auf deutsch, „weil Deutsch die Sprache ist, in der ich meine Gedanken am schönsten darlegen kann“. Die Inhalte sind aber oft sehr türkisch, etwa wenn er von „Mutter Erde“ spricht oder schreibt: „ich schnitze tauben / mit nachtflügeln aus eiche / schicke sie der sonne entgegen.“ Der Vers „meine liebe verließ dich nicht“ weist sogar Spuren eines großen türkischen Dichters auf.
Nach dem vierten Gedichtband „Das ewige Wasser“, der inzwischen in der zweiten Auflage vorliegt, erscheint im Oktober Cumarts fünftes Buch, ein Jubiläumsband mit bisher veröffentlichten und unveröffentlichten Gedichten. Nach zehn Jahren Lyrik enthält dieser Band auch türkische Gedichte.
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