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Alles aus'm Kopp

■ Die „Leuchtspuren“ der Rotraud Keuneke, einer ehemaligen Blankenburgerin

Nein, diese Farben! Wo kriegt sie die nur her? „Die besorgt mir der Jochen“, klärt Frau Keuneke die Vernissage-Besucher auf. Und die liebreizenden Motive? Der Bauernhof? Die Tiere? „Alles aus'm Kopp“, sagt die Künstlerin knapp. Rotraud Keuneke malt und malt ihre Welt, täglich, in einer Tagesstätte des Arbeiter-Samariterbundes. Dort kümmert sich Mitarbeiter „Jochen“, eigentlich Joachim Schlüter, um die Künstlerin. Er besorgt ihr die Farben. Leuchtende Edding-Filzstifte. Mit denen zieht sie ihre „Leuchtspuren“ übers Papier — und stellt sie unter diesem Titel immer mal wieder aus, derzeit im „Brunnenhof“ des St.-Joseph-Stifts.

Frau Keuneke malt nicht erst seit gestern. Aber seit fünf Jahren immer mehr. Damals wurde die Langzeitpsychiatrie im Kloster Blankenburg aufgelöst. Hier, und in anderen Kliniken, brachte Rotraud Keuneke 50 Jahre ihres Lebens zu. Was seither an hoffnungsfrohen, eben strahlend schönen Bildern entstanden ist, stellt für Joachim Schlüter den besten Beweis dafür dar, „wie wichtig und notwendig es war“, die Psychiatrie aufzulösen. Mit dem Fall der „undurchdringlichen Mauern einer Großpsychiatrie“ kam auch ihre Kunst ans Licht.

Schlüter bewundert die Beständigkeit, mit der Frau Keuneke an ihren Bildern arbeitet. Das hinterläßt Spuren: In der Wahl ihrer Mal- und Zeichenmittel, ihrer Motive und ihres Stils ist Keuneke über die Jahre sehr sicher geworden. Und immer sind ihre Bilder Ausdruck eines persönlichen Erlebnisses oder einer Vorstellung „aus'm Kopp“.

Wichtig und lieb sind ihr z.B. die Haltestellen. Fixpunkte auf Keunekes Wegen durch den Stadtdschungel. Tiere tauchen auf, öfter als Menschen — die Viecher vom Bauernhof nahe der Tagesstätte. Ein Zoobesuch ergab ein Bild namens „Afrika“ - es ist voll wilder Tiere.

Die zeichnet Keuneke in ihren prächtigen Farben auf. Sie fetzt und kratzt übers Papier, läßt ihre Leuchtspuren wirbeln, füllt jedes Eckchen voll mit Farbe. Schlingernde Bäume, tanzende Häuser, und über allem der zackige, rote Sonnenstern. Eine wilde Idylle, säuberlich gerahmt. Ordnung muß sein bei Rotraud Keuneke.

Thomas Wolff

„Leuchtspuren“, noch bis 10. August im Krankenhaus St.- Joseph-Stift, Schwachhauser Heerstr. 54

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