piwik no script img

„Schlußlicht beim Kriminalitäts-Wachstum“

■ Bremen: Innensenator legt neue Zahlen vor / Thema Innere Sicherheit zu „irrational“ diskutiert

Im Land Bremen stieg die Kriminalitätsrate im Jahr 1992 um 2,9 % (Stadt Bremen: 2,7%) an. Nur im Saarland war es in dieser Zeit friedlicher (plus 2,8%). „Diese Zahlen stehen diametral im Widerspruch zu dem Vorurteil, daß Bremen das unsicherste Pflaster der Bundesrepublik ist“, erklärte Innensenator Friedrich van Nispen (FDP) gestern. Im Bundesdurchschnitt stieg die Kriminalität um 9,6 % an, in Niedersachsen sogar um 13,5%.

Grundlage der neuen Zahlen über den Kriminalitätsanstieg in Bremen ist die sog. Tatzeitstatistik, die der Innensenator jetzt vorgelegt hat. Darin sind alle Straftaten registriert, die zwischen dem 1.1. und 31.12.1992 begangen und bis zum 31.3.93 von der Polizei ermittelt und der Staatsanwaltschaft übergeben wurden. Noch im März war der Innensenator aufgrund der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) von einer Steigerungsrate um sechs Prozent ausgegangen. Die PKS erfaßt alle Vorgänge, die in einem Jahr von der Polizei an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden, möglicherweise vom Tatzeitraum her aber schon länger zurückliegen. Ein Vergleich zum Vorjahr ließ sich mit der PKS 1992 nicht ziehen, weil in der PKS-Jahresstatistik 1991 28 Tage in der Erfassung gefehlt hatten. Die CDU war im März noch von einer Steigerung der Kriminalität in 1992 um 12 % ausgegangen.

„Ich finde den Umgang mit dem Thema innere Sicherheit derzeit höchst irrational“, erklärte van Nispen weiter. Anfang des Jahres hatte die Zeitschrift Freundin veröffentlicht, daß Bremen die Stadt mit den meisten Vergewaltigungen in der Bundesrepublik sei. Wenige Wochen später hatte der Spiegel Bremen zum El Dorado für Kriminelle gestempelt. Mit den neuen Ergebnissen will van Nispen „die Diskussion versachlichen“.

Wie interpretationsfähig Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung seien, verdeutliche ein Blick auf die Kriminalitätshäufigkeitsziffer. Laut PKS liegt Bremen mit 97.540 Straftaten bei Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern an vierter Stelle nach Frankfurt, Oldenburg und Hamburg. Der „kriminalgeographische Bezugsraum für die Stadt Bremen“ erstrecke sich jedoch bis zur holländischen Grenze sowie über die Großräume Hamburg und Hannover. „Damit ergibt sich auch ein weit größeres Täterpotential als es der bloßen Einwohnerzahl Bremens entspricht.“

Vorsichtig reagierte die CDU auf die neue Lage. „Ich werde an den Zahlen nicht weiter herumkritteln“, erklärte der innenpolitische Sprecher der CDU, Ralf Borttscheller. Festzuhalten sei, daß die Kriminalitätsrate in den letzten drei Jahren um über 20 Prozent gestiegen sei.

Van Nispen führt den verlangsamten Anstieg der Kriminalitätsrate auf die forcierte Bekämpfung der Drogenkriminalität und die damit zusammenhängende Beschaffungskriminalität zurück. Die ersten Erhebungen für einen Bremer Kriminalitätsatlas belegen, daß die Kriminalitätshäufigkeit von Ortsteil zu Ortsteil stark divergiert. Am höchsten ist sie in der Innenstadt, am niedrigsten ist sie in Borgfeld und Oberneuland. mad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen