Großartige Chance

Zur taz-Kritik am „Deutschlandradio“  ■ Von Reinhard Appel

1. Ein „Nationalradio“ ist vielleicht nicht „not“-wendig, wie auch die FAZ und die taz und das ZDF nicht „not“-wendig sind, aber wie die überregionalen Zeitungen und elektronischen Medien inzwischen wichtige Funktionen der gesellschaftlichen Kommunikation in der Medienlandschaft wahrnehmen, so ist auch das überregionale, bundesweite Radio dringend wünschenswert, um Defizite in der Integration zwischen Ost und West auszugleichen. Oder sollen wir warten, bis uns die Kommerziellen ein werbeabhängiges Nationalradio vorexerzieren?

2. Eine flächendeckende Versorgung aller Gebührenzahler ist zwar gegenwärtig wegen (noch) mangelnder UKW-Frequenzen nur unzulänglich über Mittel- und Langwellen gewährleistet, aber über den immer preiswerter angebotenen Satellitenfunk kann man schon jetzt vom Schwarzwald bis Rostock und von Görlitz bis Emden die beteiligten Sender in CD- Qualität hören.

3. Wer einen Reichsrundfunk unseligen Angedenkens vermeiden will, sollte mit der föderalen Vaterschaft von ARD und ZDF für das „Nationalradio“ zufrieden sein. Die Balance zwischen föderaler Rechtsgrundlage und zentraler Funktion kann damit gewährleistet werden.

4. DLF (Köln) und RIAS (Berlin) haben in der Zeit der Spaltung Deutschlands und nach der Hochphase des Kalten Krieges während der Entspannungspolitik im Vorgriff auf eine erhoffte Wiedervereinigung mit qualifizierter Hörerresonanz überregionale Programme gesendet. Mit der Wiedervereinigung sind neue überregionale Radioaufgaben gestellt, für die die bisherigen Erfahrungen von DLF, RIAS, und vor allem auch von DS Kultur von Bedeutung sind. Leider gibt es verschiedentlich noch Kalte Krieger von einst, die den alten Geist wieder aus der Flasche lassen. Ihnen sollte man die rote Karte zeigen.

5. Der Sendername „Deutschlandradio“ drückt aus, daß es nicht um die Fortsetzung von RIAS, DLF und DS Kultur, sondern um einen neuen Sender mit zwei Programmen geht. Er soll sich mit seinen Informations- und Kulturprogrammen an den Radiobedürfnissen orientieren, die sich aus dem Integrationsauftrag im wiedervereinigten Deutschland ergeben.

6. Das „Nationalradio“ soll weder ein Elite-, Greisen- oder Jugendprogramm senden, sondern sich bewußt unter Verzicht auf Unterhaltungssendungen auf Information und Kultur konzentrieren. Einschaltquoten sind nicht primär gefragt. Eine großartige Chance für Radiomacher.

7. Da Ausländerprogramme vernünftigerweise regional unterschiedlich gestaltet werden müssen, entziehen sich derartige Spezialprogramme einem bundesweiten Programmauftrag. Das Thema „Ausländer in Deutschland“ ist selbstverständlich für das Nationalradio von hoher Bedeutung.

8. Ein Nationalradio kann niemals Landesrundfunkanstalten und auch keine regionalen Kulturprogramme ersetzen. Die unterschiedlichen Programmaufträge führen zu verschiedenen Schwerpunkten, die sich ergänzen. Für eine bereichernde Zusammenarbeit können ARD und ZDF Sorge tragen.

9. Solange die erforderlichen Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur über Landtagsbeschlüsse zu erreichen sind, sollte frei gewählten Volksvertretern in den Landtagen auch ein Kontrollrecht eingeräumt werden. Die „Staatsferne“ muß durch unabhängige Intendanten, Programmdirektoren und Journalisten gewahrt werden. Die Mehrheit im Hörfunkrat wird durch die Vertreter gesellschaftlicher Gruppen gestellt. Sie könnten auf die „Staatsferne“ achten.

10. DS Kultur, der einzige aus dem DDR-Funk verbliebene, nach der Wende neu formierte Ostsender mit einem anspruchsvollen Programmprofil, ist neben DLF und RIAS gleichberechtigter Teil des künftigen Deutschlandradios. Ohne die Mitarbeiter aus dem Osten wäre der neue Sender kein „Deutschlandradio“, sondern ein Westdeutschland- und Westberlin- Radio. Wer diesen Ostbedarf bei der bedarfsgerechten Übernahme von DS Kultur auf die neue Körperschaft bestreitet, fördert nicht die Integration, sondern Desintegration. Wenn der Nationale Hörfunk mit den beiden geplanten Programmen aus Berlin und Köln das inhaltlich gleiche Programm senden würde, wäre das in der Tat peinlich und stellte ein Armutszeugnis dar. Natürlich sind unterschiedliche Schwerpunkte im Informations- und Kulturprogramm anzustreben, wie das auch vom Gründungsausschuß des Nationalen Hörfunks empfohlen worden ist. Ein Intendant, der das nicht fertigbringt, sollte sich besser für das Archiv bewerben.

Reinhard Appel, Hörfunkbeauftragter des ZDF für den Deutschlandsender Kultur, reagiert hiermit auf „Hauptsache deutsch“ in der taz v. 22.6. 93.