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Das System bleibt im Amt

■ betr.: "An Systemfehler glaube ich nicht", Interview mit Klaus Steffenhagen, Gewerkschaft der Polizei, taz vom 3.7.93

betr.: „An Systemfehler glaube ich nicht“, Interview mit Klaus Steffenhagen, Gewerkschaft der Polizei, taz vom 3.7.93

Manchmal ist das Verbrechen so groß, daß es unkenntlich wird.

Wenn es stimmt, daß Wolfgang Grams ermordet wurde, wenn es stimmt, daß die Tat den politisch Verantwortlichen bekannt war und die Täter von ihnen gedeckt werden, wenn es also stimmt, daß hohe staatliche Repräsentanten einen Mord verbergen, dann ist Rücktritt angemessen.

Dann geht es um Amtsmißbrauch, Strafvereitelung im Amt, um Mitwisser- und Mittäterschaft, Anstiftung zum Mord, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dann geht es um nichts weniger als die Ausstellung eines Haftbefehls gegen von Stahl und Seiters und die Verantwortlichen bei BKA und BGS.

Vor dieser Dimension ist Seiters' Rücktritt zu bewerten. Und vor dieser Dimension gilt es neu zu fragen: Wer oder was ist eigentlich die RAF? Dorothee Ernst, Thomas Moser,

Berlin

Auch ich glaube wie der zitierte GDP-Mann Steffenhagen nicht an Systemfehler, an Fehler im System. Das System ist der Fehler.

Der Ge- bzw. Mißbrauch des Gewaltmonopols durch den Staat ist von der Legislative nicht mehr kontrollier- geschweige denn steuerbar. Was glaubt denn ein Parlament zu zeugen, das sich erst auf die von ihm eingesetzten Institutionen blind verläßt und sodann auf von dorther beschworene sogenannte Sachzwänge hin seine Kontroll- und damit Einflußmöglichkeiten beschneidet, indem es im Grunde konspirativ geführte Ämter duldet? Rechtsstaatlichkeit?

Der in die Terrorismusbekämpfung involvierte Klüngelbund von Dreibuchstabenvereinen mit der Bundesanwaltschaft als Triebfeder hat nur ein Ziel vor Augen: die Selbstlegitimation, den Schlüssel zu Machterhalt und -ausbau. Hierzu wird der linke Terrorismus stets aufs neue beschworen, die Gewaltspirale immer neu angeheizt. Es ist ein Klüngel im wahren Sinn des Wortes, mit eigener Politik, eigenen Richtlinien, eigener „Moral“. Es sind Pawlowsche Hunde, abgerichtet, in nur eine Richtung zu beißen – gnadenlos. Die wahre rechte Staatlichkeit!

Auch wenn offiziell zugegeben werden sollte, daß der Tod von Wolfgang Grams die Folge eines Justizmordes war, es wird nur marginale Folgen haben. Im maximalsten aller Fälle werden der oder die Killer mit Pensionsberechtigung eine mehr oder minder milde Bestrafung erfahren. Im Zuge eines solchen Verfahrens wird der Einzelfallmythos vom durchgeknallten Beamten aus der Schublade geholt werden. Danach kann es weitergehen wie zuvor. Das System bleibt im Amt. Bad Kleinen for ever. Uwe Müller, Berlin

RAF, GSG 9, oder wer sind hier eigentlich die TerroristInnen?

[...] Bad Kleinen paßte wunderbar in die augenblickliche Situation – wenn es gelungen wäre, das Lug- und Betrugsgebilde so aufzubauen, wie es sich die rechten Baumeister wohl vorgestellt hatten. Es hätte hervorragend gepaßt, in einer Welle rassistischen Terrors einen Fall zu haben, auf den mensch mit dem Finger zeigen kann und dann entweder hämisch oder in der üblichen Betroffenheit der herrschenden PolitikerInnen sagen zu können: Die Linken sind ja genauso gefährlich, also brauchen wir einen starken Staat, seht her, deshalb noch mehr Elitekämpfer, weniger Freiheitsrechte, mehr Überwachung, Überwachung, Überwachung. Ja, die linke Gefahr ist ja nach Alexander von Stahl noch gefährlicher als die rechte, weil sie intelligenter ist, also drauf!! Es hätte so wunderbar gepaßt, von den rechten Mörder(Inne)n und damit auch von der eigenen Schuld an dem rassistischen Klima in dieser Republik abzulenken, indem mensch wild um sich schießende und tötende RAFlerInnen vorweisen kann.

Aber es hat nicht geklappt, die Hintergründe und Vorgänge der Tötung sind zum Teil bereits aufgedeckt worden und werden es noch weiter. Ich frage mich, ob sich die GSG-9-Planungsstäbe nach diesem Skandal nun überlegen, eine Nachfolgebrigade zu entwickeln, die für die ZeugInneneliminierung zuständig ist.

Bleibt noch die Definition des TerroristInnen-Begriffes. Terror = Schrecken, Angst. Wovor habe ich denn mehr Angst? Vor einigen Menschen mit Zielen und Träumen, die ich zu teilen vermag, die diese Ziele aber mit meiner Auffassung nach in der Regel falschen Mitteln durchsetzen wollen? Oder vor einem Staat, dessen Elitekampftruppe, seit München bajuwarisch massakererprobt, wehrlose Menschen exekutiert, vielleicht sogar, um den auf die RAFlerInnen gemünzten Mörder!- Mörder!-Ruf noch zu unterstreichen, sich gegenseitig abschießt, vor einer Anwaltschaft (!), die bewußt Lügen verbreitet? Die Definition des Staates als Träger von Recht und Ordnung klingt da wie Hohngelächter.

Die BefürworterInnen einer militärischen Intervention in Bosnien und Somalia – sind sie nun so konsequent, Blauhelme für Deutschland zu fordern, um die außer Kontrolle geratenen, staatlichen Kampftruppen zu bändigen? Zitat eines deutschen Soldaten in Somalia: „Die Banden hier sind so unberechenbar.“ Sebstian Lovens, Wuppertal

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