: Milliarden für Rußlands AKW
EG-Kommission empfiehlt dem Wirtschaftsgipfel, die Regierungen Osteuropas zu verpflichten, die schlimmsten Atomreaktoren stillzulegen ■ Aus Tokio Donata Riedel
Wenn Boris Jelzin heute nachmittag von den G-7-Staatschefs in Tokio empfangen wird, bekommt er neben dem obligatorischen Lob für seine wirtschaftspolitischen Reformanstrengungen auch deutliche Kritik zu hören: Nach übereinstimmender Auffassung der Staatschefs von USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Iitalien und Kanada läßt die nukleare Sicherheit in seinem Land sehr zu wünschen übrig – so sehr, daß die Münchner Beschlüsse über die Nachrüstung der eigentlich gar nicht nachrüstbaren Ost-AKW sogar übererfüllt wurden.
Der neue US-Präsident Bill Clinton versprach gestern, 100 Millionen Dollar zusätzlich für nukleare Sicherheit bereitzustellen. Sein Vorgänger hatte letztes Jahr die Geldhähne für diesen Zweck noch fest verschlossen. Als Diskussionsgrundlage brachte jetzt die EG-Kommission eine detaillierte Liste mit, aus der hervorgeht, welches Land wieviel in das nukleare Hilfsprogramm eingezahlt hat, und welche Programme damit finanziert werden sollen.
Nach den Münchner Beschlüssen wird die Finanzhilfe über die sogenannte G-24 einegesammelt, ein Gremium, in dem West- und osteuropäische Staaten sowie die USA, Kanada und Japan zusammenarbeiten. Der Topf füllte sich gut: In den Jahren 1991 bis 1993 flossen 497,8 Mio Ecu (1 Ecu = 2 DM) hinein und über weitere 290,7 Mio. Ecu gibt es Zusagen, vor allem aus der EG und Skandinavien. Daneben richteten die G 7 bei der Osteuropabank einen multilateralen Fonds ein, über den weitere 117 Mio Ecu bereitstehen.
Nach einem Beschluß der Osteuropabank und der EG-Kommission vom 16. Juni dieses Jahres, die den G-24-Topf koordiniert, sollen 24 Mio. Ecu für die Nachrüstung der Reaktorblöcke 3 und 4 im bulgarischen Kosloduj fließen. Dafür ließ sich die bulgarische Regierung die Zusage abkaufen, die Reaktorblöcke 1 und 2 bis 1997 stillzulegen. Neben dem AKW Ignalina in Litauen gelten sie als die gefährlichsten atomaren Zeitbomben der Welt, und sind 1992 für 20 Mio. Ecu nachgerüstet worden.
Die EG-Kommission empfiehlt den G 7, bei allen mittel- und osteuropäischen Regierungen auf eine sofortige Stillegung der gefährlichsten und ältesten Reaktoren zu drängen. Die Schwierigkeit sei, daß dieser Fiorderung harte Opposition entgegengebracht werde. Besonders das russische und das ukrainische Establishment würden den Westlern mit Mißtrauen begegnen und ihnen unterstellen, sie wollten bloß den Westkonzernen Aufträge zuschanzen. „Die Arbeitsbeziehungen, obwohl sie sich kürzlich leicht verbessert haben, bleiben delikat und psychologisch sensibel“, warnt die Kommission. Gerade im atomaren Sektor gehe es darum, wer denn nun seine Macht behalten dürfe. Mit Atomstrom werde außerdem hartes Devisengeld erwirtschaftet. Die Probleme der Umstellung auf Alternativenergien seien durchaus ernstzunehmen, die Nachrüsterei diene daher nur der Verhütung von Havarien in der Übergangszeit.
Die Kosten eines nuklearen Sicherheitsprogramms für alle Ex- Ostblockstaaten beziffert die EG- Kommission auf der Basis einer neuen Weltbankstudie auf 5,4 Mrd. Ecu für technische Nachrüstung, 2,2 Mrd. ecu für den Weiterbau der neuen AKW, weitere 15,4 Mrd. Ecu für den Ausbau des nicht-nuklearen Energiesektors – zu bezahlen durch den Westen bis zum Jahr 2000.
Nach den mühseligen Gesprächen mit den russischen und ukrainischen Autoritäten ist es der EG- Kommission auch erst jetzt gelungen, die ersten acht Hilfsteams aus Westeuropa für längere Zeit zu den Orten der Reparatur zu schicken. Von deutscher Seite aus soll eine Crew des RWE-Biblis in Balakovo seit 23. Juni mit einer „Kondenswasserbehandlung etc.“ beginnen. Die für ein Jahr entsandten Teams der Firmen RWE, Scottish Nuclear, Nuclear Electric, EdF, Tractebel, Nersa und Unesa haben ein Budget von 32 Mio. Ecu und arbeiten neben Balakovo in Smolensk, Sosnovy Bor, Kola, Kalinin und Belojarsk in Rußland sowie ukrainischen Rowno und in der Südukraine.
Dabei hatte die EG-Kommission durchaus Probleme, Westfirmen für ein Engagement zu gewinnen. Denn die osteuropäischen Staaten sind nich Mitglied der Wiener und Pariser Konventionen, nach denen natioanle Regierungen für Havarien verantwortlich sind. Ohne eine solche Haftungsgarantie ist den meisten Westfirmen die Sache viel zu heiß. Wenn darüber nicht bis spätestens September eine Einigung getroffen wird, mahnt die EG-Kommission, sei das ganze nukleare Hilfsprogramm praktisch hinfällig.
Neben der Kritik an den Schrottreaktoren halten die G 7 für Jelzin diesmal nur ein kleines Trostpflaster bereit: der Privatisierungsfonds, der gestern nach Aussagen des US-Finanzministers Lloyd Bentson bei 3 Mrd. US-Dollar angelangt war.
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