: DIW: Konjunktur sackt und sackt
Wachstum zwischen null und ein Prozent / Wahrscheinlich 3,5 Millionen Arbeitslose / Kürzung bei Sozialhilfe und Mineralölsteuererhöhung sind keine Mittel gegen die Rezession ■ Von Nicola Liebert
Berlin (taz) – Die konjunkturelle Lage in Deutschland im Sommer 93 ist schlecht. Das stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem neusten Bericht über die „Tendenzen der Wirtschaftsentwicklung“ fest. Und auch die Zukunft sieht nicht rosig aus: Die konjunkturelle Tendenz ist dem Institut zufolge weiter abwärts gerichtet.
Zwei Prognosen gibt das DIW. Vorhersage A steht unter der Annahme, daß die Staatsverschuldung sich so weiterentwickelt wie bisher und daß die Regierung nur die Beiträge zur Rentenversicherung anhebt. Unter diesen Bedingungen könnte es zu einem kleinen Konjunkturaufschwung im nächsten Jahr kommen; das Wachstum würde etwa ein Prozent betragen.
Für wahrscheinlicher hält das Institut aber die Variante B, die auf den aktuellen Sparbeschlüssen der Bonner Koalition basiert. Werden die geplanten Haushaltseinsparungen von 25 Milliarden und die Erhöhung der Mineralölsteuer um insgesamt 10 Milliarden Mark tatsächlich realisiert, wird die Wirtschaft bestenfalls stagnieren. Die Arbeitslosigkeit wird erheblich ansteigen: In Westdeutschland von 5,8 Prozent im Jahre 1992 auf 7,9 Prozent 1994 und in den neuen Bundesländern von 14,9 auf 16,8 Prozent. Mehr als 3,5 Millionen Menschen wären arbeitslos.
Das Bonner Programm zur Konsolidierung der aus dem Ruder gelaufenen Staatsfinanzen (die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben beträgt 115 Milliarden Mark im laufenden Jahr) dürfte dazu führen, daß der private Verbrauch um 1,5 Prozent zurückgeht, sagen die Wissenschaftler voraus. Die Unternehmen können im Inland weniger absetzen, weil sich 80 Prozent der geplanten Einsparungen direkt auf die Einkommen auswirkten. Die Anhebung der Mineralölsteuer, hingegen werde preistreibend wirken, so das DIW. Steigen aber die Preise, ist der Zinssenkungsspielraum gering, da die Inflation im Schach gehalten werden muß. Und bei hohen Zinsen wird wenig investiert. Geringe Nachfrage und hohe Zinsen aber sind Gift für die Konjunktur – ein Aufschwung wird so nicht zustande kommen.
Würde nun durch das Sparprogramm wirklich das staatliche Defizit gesenkt, dann wäre all dies ja noch hinzunehmen. Aber das DIW glaubt nicht an eine Schuldenreduzierung. Denn der größte Teil der Einsparungen, rund 10 der 35 Milliarden Mark, soll bei der Bundesanstalt für Arbeit vorgenommen werden. Diese Einsparungen aber werden zunichte gemacht, wenn zugleich die Zahl der Arbeitslosen wächst. Und wenn die Konjunktur abflaut, sinken auch die Steuereinnahmen des Staates.
Auf Rettung aus dem Ausland zu hoffen, ist derzeit allerdings auch nicht allzu sinnvoll. Die Nachfrage nach deutschen Produkten ist nicht sehr hoch: In fast ganz Westeuropa herrscht Rezession, das Wachstum in den USA (0,7 Prozent im ersten Quartal des Jahres) ist labil, und allenfalls Japan hat nach Einschätzung des DIW die Talsohle der Rezession durchschritten. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß in Deutschland die Konjunktur erst wieder anspringt, wenn auch in anderen Ländern die Rezession überwunden ist.
Das Forschungsinstitut hält dabei die westdeutsche Industrie für durchaus wettbewerbsfähig. In Ostdeutschland sieht die Lage allerdings anders aus. Zwar wird dort inzwischen wieder mehr produziert, doch wird dieser kleine Aufschwung nach wie vor allein von den Investitionen westdeutscher Unternehmen getragen. Die gestiegenen Lohnkosten in den neuen Bundesländern dürften aber in Kombination mit der anhaltenden Rezession das Aus für viele privatisierte Unternehmen bedeuten, glaubt das DIW.
Die vermeintlich zu hohen Lohnkosten und die zu geringen Arbeitszeiten in Westdeutschland werden in letzter Zeit von Wirtschafts- wie auch Regierungskreisen als eine der wesentlichen Ursachen für die Krise gehandelt. Dagegen argumentiert das DIW: Die Lohnstückkosten würden in Deutschland in diesem Jahr um 3,6 und im nächsten Jahr um 2,5 Prozent zunehmen. In der restlichen EG seien es 1993 4,2 Prozent und 1994 3,0 Prozent, in den USA 3,5 und 3,0 Prozent. Von einer Kostenkrise könne also keinesfalls die Rede sein.
Die Produktionsbedingungen seien in Deutschland nach wie vor besser als in anderen Industrieländern, und „es gibt keinen Grund anzunehmen, daß sich das in den kommenden Jahren ändert“, so DIW-Präsident Lutz Hoffmann. Dank des Booms durch die deutsche Vereinigung seien die Investitionen in westdeutschen Unternehmen größer gewesen als bei der ausländischen Konkurrenz.
Wenn die Regierung aus dieser vermeintlichen Kosten- und Strukturkrise heraus für die Verlängerung der Arbeitszeit für für Reallohnsenkungen plädiert und dazu noch die Leistungen an die Ärmsten in der Gesellschaft reduziert, dann würgt sie damit die Konjunktur vollends ab.
Bleibt die Frage, was die Regierung machen soll: Die Zinsen weiter senken, ist eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Gesundung, meint das DIW.
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