Kreuz und Halbmond im Dialog

■ Evangelische und muslimische Gemeinden in Gröpelingen üben seit fünf Jahren die Verständigung zwischen den Religionen

„Die Fremden sollst Du nicht bedrängen und bedrücken.“ Das Schild mit dem Bibelzitat im Schaufenster der evangelischen Gemeinde in Gröpelingen ist schon ein bißchen vergilbt. Denn in der Seewenjestraße ist der Dialog mit den Fremden und mit ihrer Religion schon fast ein alter Hut. Seit über fünf Jahren findet hier, einzigartig für ganz Bremen, ein reger Austausch zwischen einer protestantischen Gemeinde und ihren muslimischen Nachbarn statt.

Angestoßen und vorangetrieben hat diese Initiative Heinrich Kahlert, Pastor der Gemeinde. Als er 1987 nach Gröpelingen kam und die Moscheen in der Nachbarschaft bemerkte, schickte er den fremden Gläubigen eine Einladung zum interreligiösen Gespräch. Die Gemeinde der Mevlana-Moschee in der Lindenhofstraße akzeptierte. „Und dann kamen sie mit hundert Leuten und ließen sich unsere Kirche erklären“, erinnert sich Kahlert. „Das war fast so, als ob die Muslims darauf gewartet hätten“. Ein Gegenbesuch folgte, und über die Jahre sind regelmäßige Treffen daraus geworden.

Mit einer anderen Gruppe, der Gemeinde jugoslawischer Moslems in Walle, kam der Kontakt bei der Aufnahme bosnischer Flüchtlinge zustande. Der kleinen Gruppe von 500 Waller Mus

hier bitte

das Foto

von den Männern,

die um den Teppich

sitzen

Verständigung in den Gemeinden: Muslims und Christen in GröpelingenFoto: Tritan Vankann

limen halfen die Protestanten mit dem Nötigsten. Seitdem besteht auch ein theologischer Austausch

mit Kahlert und seinen Schäfchen. Ismet Hodzic, Leiter der jugoslawischen Gemeinde, betont lieber die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zwischen ihm und Kahlert: „Dieser Kontakt ist wie zwischen zwei Mechanikern, die in ihre Arbeit verliebt sind und sich beim Autoreparieren treffen. Sie kommen sich näher und ihre Arbeit wird besser.“

Ismet Hodzic ist ein beschäftigter Mann. In seinem Büro klingelt ununterbrochen das Telefon, die Gemeinderäume in der Bremervörder Straße sind voll spielender Kinder, viele von ihnen sind Flüchtlinge aus Bosnien. „Die Bosnier waren früher auch Christen“, erklärt Hodzic die Geschichte seines Volkes, das sich als Vertreter eines europäischen Islam versteht und als Brücke zwischen Orient und Okzident dienen wollte. Umso mehr schmerzt die Erfahrung der Greuel in Bosnien, wo für Hodzic ein tolerantes Miteinander der Religionen verwirklicht war: „Es wird sehr lange dauern, bis diese Wunden verheilt sind. Aber ein

christlich-islamischer Krieg ist das nicht. Denn die Religion ist in diesem Krieg von anderen Interessen instrumentalisiert worden.“ Leicht ist das Verhältnis zwischen Christentum und Islam auch in Bremen nicht. Wie auch, wenn sich zwei so verschiedene Glaubens- und Lebensweisen gegenüberstehen. Auf der einen Seite das Christentum in einer säkularisierten Gesellschaft mit Betonung auf der persönlichen Freiheit des Einzelnen — auf der anderen Seite der Islam, dem die Erfahrung der Aufklärung und des naturwisssenschaftlichen Zweifels ebenso fehlt wie eine Trennung von Religion und Politik.

„Unsere Maxime war und ist: keine Mission! Wir erklären uns gegenseitig unseren Glauben. Obwohl wir eher nach Gemeinsamkeiten suchen, gibt es auch viele Differenzen. Aber man muß sich über die richtigen Fragen streiten“, erklärt Pastor Kahlert. Nicht nur sei das Interesse der Muslims an der christlichen Gemeinde viel größer als umge

kehrt, sondern auch das Wissen über die jeweils andere Religion sehr ungleich: „Die Muslims kennen genau unsere theologischen Schwächen und sprechen sie auch an. Wir berufen uns auf unsere Freiheit — sie sagen uns: da seht mal, was ihr davon habt: leere Kirchen in dieser nachchristlichen Gesellschaft.“

Überhaupt sieht sich Kahlert bei den Diskussionen zuerst als Christ und erst danach als Protestant. „Bei Fragen nach einer strengen Befolgung der kirchlichen Praxis erörtere ich schon einmal mit strengen katholischen Orden“, sagt Pastor Kahlert, der am Protestantismus ansonsten die „Streitkultur“ schätzt. Weniger Zweifel in theologischen Fragen gibt es für Hodzic: „Der Koran ist das Wort Gottes. Da ist nicht eine Zeile von Menschen verändert worden.“ Da der Islam 600 Jahre jünger ist als das Christentum, sei dies also „das letzte Wort Gottes an die Menschen“ — und damit das richtige. Und daß die Christen glauben können, Jesus wäre Gottes Sohn, ist ihm unverständlich „Im Islam ist es eindeutig: Gott hat keine Familie.“

Den Glauben daran, daß seine Religion letztlich die einzig wahre ist, kann und will keiner der Gottesmänner ablegen. „Ich bin, nur halb im Spaß, gefragt worden, wann ich denn übertrete“, lacht Kahlert. „Aber ich habe gemerkt, daß ich nur akzeptiert werde, wenn ich von meinem eigenen Glauben voll überzeugt bin.“

Nicht jedem Christenmenschen in Bremen gefällt der Gröpelinger Dialog mit den Muslimen. „Ein paar böse Anrufe und Briefe“ habe er bekommen, sagt Kahlert. „Das sind Leute, die im Verhältnis zum Islam Begriffe wie Aufrüsten und Zurückschlagen verwenden.“ Und neben wohlwollender Duldung findet Kahlert auch unter seinen Amtskollegen nicht viel Unterstützung. „In Bremen haben nur drei Pastoren Kontakt zu muslimischen Gemeinden. Ich stehe ziemlich allein da.“

Überläufer zum jeweils anderen Glauben hat es in den Gemeinden noch nicht gegeben. „Irgendwo enden unsere Gespräche immer in der Einsicht, daß Gott letztlich größer ist als die Theologie“, sagt Kahlert. Vertrauen wächst auch, wenn man sich auf den Demos zu Klöckner oder nach Mölln und Solingen trifft. „Theologisch sind wir nicht weiter gekommen, wohl aber menschlich,“ sagt Kahlert. „Aber was heißt denn Theologie? Wir einigen uns immer auf

„Gott ist groß“

„Allahu ekber“.

Bernhard Pötter