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„Meine Tochter hat sich so geschämt“

■ Ein Bauarbeiter ist angeklagt, seine Stieftochter häufig mißbraucht zu haben

Von ihrem zwölften Geburtstag an soll Volker S. seine Stieftochter sexuell genötigt haben. 88mal habe er versucht, sie zu vergewaltigen und sie unter Androhung von Gewalt zum oralen Verkehr gezwungen, wirft ihm die Anklage vor. Im Herbst 1992 erstattete die heute 20jährige Anzeige gegen den Stiefvater, der sofort verhaftet wurde. Gestern fand im Landgericht der zweite Verhandlungstag statt.

Volker S., ein 47jähriger Bauarbeiter, beharrt darauf, daß derartiges nie geschehen sei. „Wir hatten ein sehr harmonisches Familienleben“, sagte er gestern. Auch sexuell sei es zwischen ihm und seiner Frau „ganz normal gewesen“. Das Verhältnis zu seiner Stieftochter Nicole sei ebenso „sehr gut“ gewesen wie das zu seinem leiblichen Sohn Carsten. Er könne sich die Anschuldigungen nicht erklären.

Erst im Lauf der Verhandlung wurde deutlich, daß der unauffällig gekleidete Mann mit den ordentlich zurückgekämmten Haaren offensichtlich mit dem Alkohol Probleme hat. Auf Nachfragen gab er an, die „paar Bierchen“, von denen vorher die Rede war, seien 10 bis 15 gewesen an jedem dritten Abend etwa, manchmal noch Weinbrand „zur Verdauung“.

Ehe die Zeugin Nicole R. vernommen wurde, forderte Richter Kornel Christoffel den Angeklagten auf, Rücksprache mit der Verteidigerin zu halten. Ein Geständnis könne der Tochter die Vernehmung vielleicht ersparen. Doch S. blieb dabei: Er sei unschuldig.

Während Nicole R. gehört wurde, war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Nach einer guten Stunde mußte man unterbrechen, weil die zierliche Frau nicht weiter konnte. Wie schwer das Reden über sexuelle Gewalt in der eigenen Familie fällt, machten die Aussagen ihrer Mutter im Anschluß deutlich. Seit mehreren Jahren wisse sie, daß ihr Mann „etwas mit Nicole macht“, sagte sie. Auf Nachhaken des Richters brachte sie noch „na, daß er sie ... sexuell belästigt“ über die Lippen. Über Sexualität sei in der Familie nie gesprochen worden, aufgeklärt wurde ihre Tochter in der Schule. Sie habe ihren Mann, wenn sie auf einen „Vorfall“ stieß, immer gefragt, „was machst du mit ihr, du Schwein“, habe auch Nicole gefragt. „Aber sie hat sich so geschämt, darüber zu reden.“

Nur während der Aussage seines 16jährigen Sohnes, der ihn mehrmals aus dem Bett der Tochter vertrieb, zeigte S. Regung. Seine Rechtsanwältin übernahm den klassischen Part: ob es Verletzungen gegeben habe, wollte sie immer wieder wissen, genaue Zeitpunkte und Daten, an die sich kaum jemand aus der Familie erinnerte. Der Prozeß wird am Donnerstag mit der Verlesung der Gutachten fortgesetzt. cor

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