Unterm Strich

Das merkwürdigste an dem breiten Schrifttum zur Lage der Lesekultur, mit dem die „Stiftung Lesen“ und ähnliche wohlmeinende Organisationen, jüngst die Bertelsmann Stiftung, uns überschütten, ist

seine unvermeidliche Selbstbezüglichkeit. Denn

ihrer Natur nach können sich die gedruckten Appelle schlechterdings nur an LeserInnen richten, ein

Publikumsbezug also, den wir Anglophilen preaching to the converted nennen. Nach einer neuen Studie über Lesesozialisation und Lesekarrieren zerfällt die lesende Klasse nun in Leseratten, Situative Zweckleser und Interessierte Sachbuchleser, die nicht-

lesende Masse in Nichtlesende Gymnasiasten/

passive Sachbuchleser (sic), Handwerklich orien-

tierte Nichtleser und Lazy Nichtleser (sic).

– Das ist ja alles ganz plausibel und nicht weiter beunruhigend. Interessant wird es erst, wenn man die Lesegewohnheiten nach Geschlechtern aufschlüsselt. Da ergeben sich nämlich gravierende Unterschiede und für unsereinen, der sich bislang ahnungslos täglich seine Geschlechtszugehörigkeit als Mann rekonstruiert hat, ziemlich blamable Offenbarungen. „Jungen berichten häufiger von Leseschwierigkeiten“, heißt es da. „61 Prozent der Mädchen lesen ausdrücklich gern, aber nur 43 Prozent der Jungen.“ „Mädchen beziehen insgesamt höhere Gratifikationen aus der Lektüre.“ Und weiter: „Für die Lesepraxis der Mädchen gilt also, daß sie sich tendenziell um so mehr auf literarisch anspruchsvolle Lektüre ausrichtet, je mehr sie lesen.“ Mädchen lesen also nicht nur mehr, sondern auch bessere Bücher; und während sie schneller lesen, Teufel nochmal, fassen sie mehr auf, behalten mehr von dem Gelesenen und haben schließlich noch mehr Spaß dabei.

Das ist verflucht hart hinzunehmen für unsereinen, der die Damen schon im zartesten Alter um ihre zahllosen Privilegien beneidete, als da waren: blondgelockte Puppen mit Schlafaugen und drei verschiedenen Sets Kleidung (Erikas hatte sogar einen Ski- Dress!), Gummi-Twist, Haarspangen mit Fruchtmotiven, Pferde-Poster (immer Angst vor den Viechern gehabt) und und und.

Schluß, bevor noch der gelbe Neid mit uns durchgeht. Es mag übrigens sein, daß die nämliche Regung auch den Autor der genannten Studie geritten hat, als er die weibliche Leselust in solchen Sätzen zusammenfaßte: „Für Frauen ist Lesen weitaus mehr als für Männer ein ganzheitliches Erlebnis, das nicht nur rational verarbeitet wird, sondern auch emotional große Bedeutung hat.“ „Frauen tendieren weniger als Männer dazu, bei ihrer Lektüre scharf nach bestimmten Zielen und Interessen zu selektieren.“ „Nicht zu übersehen (...), daß weibliches Lesen teilweise eskapistische Formen annnimmt und als Gegenwelt empfunden wird.“ Ach sooo! Also doch wieder das Ewigweibliche, wie es ungestalt wabert und wallt. Na denn!