Das Geschäft mit Gewalt und Gehirnwäsche

Was man über den Guru Sant Thakar Singh und seine Vereine wissen muß / Mitglieder sollen mit dem Allheilmittel Dauermeditieren bei Schlafentzug und kümmerlichen Essensportionen zu „Rettern der Menschheit“ werden / Wenn Sie schon immer fliegen wie ein Vogel oder schwimmen wie ein Fisch wollten, sind Sie hier richtig / Dafür wird das Schlafen abgeschafft und so ganz nebenbei das Wohnungsproblem gelöst / Vor Krankheiten sind die Dauermeditierer zusätzlich gefeit / Rund eine halbe Million Menschen weltwit und 25.000 in Deutschland sind nach Angaben der Sekte aktiv  ■ Von Manfred Otzelberger

Als die Not unter seinen Jüngern am größten war, meldete sich der Meister zurück. „Aus einer kleinen Hütte in Indien“ übermittelte der untergetauchte indische Guru Sant Thakar Singh seinem im bayerischen Erding residierenden Europa-Sprecher Lothar Schmitt eine tröstliche Botschaft für getreue Schüler. „Ich liebe sie alle“, schrieb der 64jährige in Anlehnung an Erich Mielkes legendäre Volkskammerrede, um dann sein Untertauchen zu begründen. „Aber ich muß mich noch weiterhin in physischer Abgeschiedenheit halten, um meine große Aufgabe zu vollenden.“

Zu entnehmen ist das einem sekteninternen Beruhigungsschreiben, das vor drei Wochen als Reaktion auf eine ARD-Reportage („In den Fängen des Guru“) an irritierte Sektenmitglieder versandt wurde. Die aufsehenerregende Reportage ließ kaum Zweifel daran, daß es sich bei dem selbsternannten „Meisterheiligen“ um einen Mann handelt, der bei verkopften Westmenschen die Sehnsucht nach Spiritualität gnadenlos ausbeutet.

Kinder hat der Guru, der seit 1974 die Nachfolge des indischen Mystikers Kirpal Singh beansprucht, besonders gerne. Schon als Babys sollen sie meditieren bzw. von ihren Eltern meditiert werden. Ein grausames Sekten- Schulungsvideo dokumentiert Singhs merkwürdige Methoden in Indien: 250 Kinder sitzen stramm in Reih und Glied und werden von Aufsehern zu einer stundenlangen Meditation angehalten. Mit dem Allheilmittel Meditation sollen sie zu „Leuchttürmen“ und „Rettern der Menschheit“ werden.

Bis zu 20 Stunden, so der TV- Reporter Lorenz Knauer, der sich in Wallraff-Manier im Ashram in Neu Delhi umgesehen hat, müssen die Kinder meditieren. Im Yogasitz, in der Hocke, im Stehen. Sie leiden unter Schlafentzug und kümmerlichen Essensrationen. Bis zu einem halben Fladenbrot werden sie herunterdosiert, um sie gefügiger zu machen, bezeugt eine Sektenaussteigerin.

Die Methoden dieser „idealen Erziehung“, die kleine Roboter produziert, sind rabiat: Die aus den ärmsten Dörfern zusammengekarrten Kinder werden einem bewußten Reizentzug ausgesetzt und von der „negativen Kraft“, also von allem Weltlichen, abgeschirmt. Aufseher erzählten, daß sie nicht spielen und lesen durften. Ein normaler Kontakt zur Außenwelt ist verboten.

Bei der Meditation werden ihnen – für Kinderärzte ein Graus – teilweise die Augen verbunden und das rechte Ohr verstöpselt, um den „inneren Licht- und Tonstrom“ zu erfahren. „Wenn die Kinder zu müde werden und umkippen, stellt sie ein Aufseher wieder auf die Beine. Der einzige Körperkontakt sind die Schläge der Aufseher und die Berührungen des Meisters, wenn er ihnen das dritte Auge öffnet“, hat Knauer beobachtet. Der Journalist, der sich zum Schein selbst initiieren (einweihen) ließ, hält das Ganze für ein „Menschenexperiment im großen Stil, zu dem es auf der ganzen Welt kein Vorbild gibt. Hier mißbraucht ein sogenannter Gottesmensch offenbar Liebe, Vertrauen und Hingabe von Kindern und Erwachsenen auf kriminelle Weise.“

Manche Kinder laufen allerdings weg und vergleichen das Leben im Ashram mit der „Hölle“, sagt der inzwischen heftig bedrohte Belastungszeuge Captain Gupta, ehemaliger Generalsekretär des „Meisters“.

Sant Thakar Singh ficht solch natürliche kindliche Widerspenstigkeit nicht an: Der pensionierte Wasserbauingenieur hält eisern an seinen gefährlichen Zwangsbeglückungen fest. Bei seiner letzten Deutschlandtournee vor zwei Jahren durch 35 Städte tätschelte er vor seinen Auftritten in Führermanier etliche Kinder von Sektenmitgliedern, die ihm dafür „Meisterlieder“ im Stile von „Großer Gott, wir loben dich“, sangen.

Übervater Singh, der milde und gütig wirkt, hat einen gigantischen Personenkult um sich aufgebaut: Kinder sollen nur „Meisterbilder“ anschauen und „Meistergeschichten“ hören. Eine halbe Million Anhänger hat er weltweit, in Deutschland sind es nach Sektenangaben immerhin 25.000 in rund 60 Städten. Die Anhänger sind oft hochgebildete Intellektuelle, die nach geistiger Führung hungern: Professoren, Ingenieure und Spitzenbeamtinnen sind darunter, die die wirren Thesen Singhs widerspruchslos schlucken. „Ich bin nichts und niemand“, sollen sich die Jünger einhämmern. Der „lebende Meister“, der sich gern mit Jesus vergleicht, verspricht ihnen dann, „wie die Vögel“ fliegen zu können und im Wasser zu leben „wie die Fische“. Außerdem seien sie immun gegen Krebs, Aids, TBC etc.: „Ihr werdet keinerlei Krankheiten haben, da euch eure Meditationen vor allen Beschwerden beschützen werden.“ Merkwürdig nur, daß der Guru derzeit selbst in ärztlicher Behandlung ist, wie es im Maiheft des offiziellen Mitteilungsblattes „wie Er sprach“ heißt.

Eine der gurugläubigsten Frontfrauen ist die Bayreuther Ordnungsreferentin Sabine Krautstrunk. Sie tritt als Sprachrohr ihres Meisters bei dessen Liveauftritten auf, wenn sie ihn übersetzt. Auch auf dem inkriminierten Sekten-Video, das offensichtlich matte Kinder unter Zwangsmeditation zeigt, schwärmt sie als Simultan- Übersetzerin davon, daß die Kinder „stundenlang wie Statuen sitzen und sich an der Meditation erfreuen“.

Bis heute hat die knallharte Formaljuristin, die im Amt Asylbewerber ungerührt bei Nacht und Nebel abschiebt, nie ein Wort der Kritik an ihrem „Meister“ geäußert. Gegen den laufen inzwischen Ermittlungsverfahren wegen Kindesmißhandlung, sexuellen Mißbrauchs und Mordverdachts. Singh entspricht voll dem Klischee eines falschen Gurus. Auch Weltuntergangsprophezeiungen, Spendenveruntreung und sexueller Mißbrauch von Frauen während der Meditation werden ihm vorgeworfen.

Die kinderlose Sabine Krautstrunk, die nach dem Fernsehfilm und Enthüllungen des Spiegel vorläufig vom Bayreuther Oberbürgermeister ihres Amtes enthoben wurde, zweifelt trotzdem nicht an ihrem Idol. 13 Jahre war die 43jährige Rechtsdirektorin Vorsitzende des „Lichtheim-Vereins“, der eine abstruse „spirituelle Erziehung“ in eigenen Kindergärten und Schulen verwirklichen wollte. Im österreichischen Waizenkirchen gab es sogar einmal ein Schülerwohnheim und im Hauptquartier der Sekte, einem Schloß im oberbayerischen 130-Seelen-Dorf Oberbrunn, fanden regelmäßige Familienwochenenden statt.

Dabei gab es offenbar „viele Mißverständnisse der Eltern“, räumt sogar Guru-Sprecher Lothar Schmitt intern ein. Was darunter zu verstehen ist, deutet eine Diplomarbeit an, die der „Lichtheim“-Pädagoge Wolfgang Fänderl 1989 erfolgreich an der Münchner Uni einreichte. Über deutsche „Lichtheim-Praxis“ schreibt Fänderl, der Singh ansonsten verklärt, an einer Stelle freimütig: „Daraus entstand dann eine mit ,deutscher Gründlichkeit‘ organisierte Erziehungsmaßnahme, die innen wie außen autoritär bis zwangsausübend wirkte.“

Unter drei Namen tritt die Sekte als hinduistische Reformbewegung auf, die in 60 deutschen Städten orientierungslose Sinnsucher bekehren will: Kirpal Ruhani Satsang Society, Lichtheim und Holosophische Gesellschaft. Unter diesem vornehmen Begriff, der in keinem Lexikon zu finden ist, formiert ein wolkiger „Verein zur Förderung der ganzheitlich heilen Menschen“.

Der Schlüssel zum Heil ist natürlich die Meditation. Der Guru fordert seine Anhänger sogar dazu auf, in der „Armee Gottes“ psychisch Kranke zu missionieren: „Ihr werdet in die Nervenheilanstalten gehen; die Leute werden meditieren, und dann finden alle Erleichterung. Ihr besucht auch die anderen Krankenhäuser. Die Patienten können initiert werden und dann sind sie befreit.“

Die Hard-core-Jünger, die mindestens drei Stunden täglich meditieren müssen, wirken oft wie gehirngewaschen. Schnöde weltliche Freuden gönnen sie sich kaum mehr. Der Guru predigt zudem das Glück des unpolitischen Menschen: „Werdet die Fernseher los! Fort mit den Zeitungen! Ihr gehört zum Reich Gottes. Das ist das Größte, und da braucht ihr keine Nachrichten.“ In Vorträgen mit blumigen Titeln („Wenn die Seele zu leben beginnt“) verkünden Guruschüler dann die Folgen dieser Lebensweise: „Wir werden unabhängiger von Menschen, Dingen, liebevoller und gelassener.“

Die Opfer sehen das ganz anders. Wegen der empfohlenen Enthaltsamkeit (Sex wird als „Schöpfung der negativen Kraft“ gegeißelt) sind viele Ehen zerbrochen. Einige Anhänger haben ihren Beruf aufgegeben, landeten in der Psychiatrie oder nahmen sich das Leben.

Intern werden die Probleme zugekleistert: „Es gibt Beispiele von Schülern, die nach der Einweihung durch den Meister körperlich oder in weltlicher Hinsicht Schwierigkeiten haben. Sie fühlen sich eingeengt und sagen dann: Seit der Initiation habe ich nichts als Sorgen, anstatt glücklich zu sein. Solche Dinge werden gesagt, doch in Wirklichkeit ist jeder Schüler von diesem Zeitpunkt an unter der Führung eines wahren, sehr großen und sehr engen Freundes und wahren Wohltäters.“

„Seine Liebe ist größer als die Liebe von tausend liebenden Müttern zusammen. Bedeutend größer sogar“, verkündet die Sekte. Die Folgerung daraus: „Darum ist es besser, sich seinem Willen zu unterwerfen und ihm alles zu überantworten.“ Ginge es nach Singh, steht das „goldene Zeitalter“ kurz bevor: „Wir werden nur sehr wenig arbeiten müssen. Ungefähr zwei oder drei oder höchstens vier Stunden werden nötig sein, und die ganze übrige Zeit können wir meditieren. Von den 24 Stunden arbeiten wir etwa vier Stunden, und so bleiben 20 Stunden zum Meditieren übrig.“ Ein Schlummer erscheint Thakar Singh überhaupt nicht mehr nötig, „denn den Schlaf gibt es nur aufgrund der karmischen Lasten, die von der negativen Kraft stammen. Sie drücken uns nieder, und dann sind wir erschöpft. Wenn wir aber mit den Meditationen unsere karmische Bürde verbrennen, dann gibt es keinen Schlaf mehr.“

Auch für das Wohnproblem hält Sant Thakar Singh eine unkonventionelle Lösung parat: „Ich denke, in einem Zimmer können zehn Leute untergebracht werden, weil ihr ja keine Betten mehr braucht. Ihr benötigt nur eine Fläche von zwei mal zwei Fuß (ein Fuß entspricht 0,3048 Meter), auf der ihr sitzen könnt.“

Zumindest in einem Punkt zeigt sich die Sekte allerdings reuig: Bei meditierenden Babys und Kindern „sind Versuche mit Ohrstöpsel und Augenbinden einzustellen.“ Ein indirektes Eingeständnis, daß es offenbar nicht nur in einem Mutter-Kind-Haus“ in Buchendorf bei München zu Exzessen kam. Ansonsten wird den gebeutelten Anhängern aber unverdrossen eine Augen-zu-und-durch-Haltung geraten: „Sich den Meditationen hinzugeben, ist das Beste, was wir für uns und die anderen machen können.“