: „Nicht wegschauen“
■ Juden appellieren an Staatengemeinschaft
Für die Menschen in Bosnien sieht die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Marieluise Beck kaum noch Chancen: Die Rechnung der Serben werde langfristig aufgehen, den bosnischen Muslimen werde schließlich nur noch ein schmaler „Gaza-Streifen“ um Sarajewo und Tuzla übrigbleiben, und in den werden - dann auch noch unter dem „Schutz“ der UNO-Truppen — alle übrigen überlebenden Muslime der Region „umgesiedelt“.
Fraglich sei für sie nur, so Beck, inwieweit der Völkermord „vollendet“ wird. Schon kündigen sich die Vorboten „ethnischer Säuberungen“ im Kosovo an. Die USA zumindest werden sich in den Balkankrieg nicht einschalten. Sie werden dem Genozid zuschauen, in ihm weiter ein rein europäisches Problem sehen. Und die Europäer, soviel sei durch die bisherigen Positionen und historisch begründeten Sympathien der wichtigsten europäischen UNO-Kräfte Frankreich und England klar, werden kaum zu einer „friedenschaffenden“ militärischen Intervention zu bewegen sein. Diese Schlußfolgerungen zog Marieluise Beck aus Gesprächen einer USA-Reise von Bündnis 90/Die Grünen, von der sie gestern berichtete.
Marieluise Beck war zusammen mit MdB Gerd Poppe und dem Grünen-Mitarbeiter Uli Fuchs nach Washington und New York gereist, um sich vom Stand der dort angeblich gespaltenen Bosnien-Diskussion zu überzeugen. Die kritischen US-Senatoren hatten die bundesdeutschen Delegierten aus verschiedenen Gründen allerdings nicht getroffen. Wohl aber den derzeitigen britischen Präsidenten des UNO- Sicherheitsrates, Botschafter Thomas L. Richardson, und den französischen UNO-Botschafter Ladsous. Sie machten deutlich, daß die US-Administration den Staat Bosnien Herzegowina aufgegeben habe und die UNO auf Verhandlungen setzen müsse.
Der Direktor des American Jewish Congress, Henry Siegman (der selbst ein Überlebender des Holocaust ist), betonte gegenüber der Delegation, daß zwischen dem Holocaust und dem Völkermord an den Bosniern „unübersehbare Parallelen“ bestünden — wenn auch nicht in der Technik, so aber doch in den Dimensionen. Die Staatengemeinschaft habe eine „tiefe moralische Verpflichtung“, nicht wieder wegzuschauen wie in den 30er Jahren. Henry Siegman legte den Reisenden nahe, eine internationale Delegation europäischer Parlamentarierer zu einer weiteren USA-Reise zu motivieren, die der einflußreiche amerikanische Jewish Congress (AJC) dann in Gesprächen mit der US-Regierung und der UNO unterstützen werde. ra
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