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„Mitten im Abendland“

Die Sommerfrische der Wolfgangsee-Fraktion/Alle Jahre wieder wird der Oggersheimer zum St. Gilgener auf Ferienzeit  ■ Von Günter Ermlich

Ein Mann mit Bodenhaftung. Nicht nur zu Hause in Oggersheim. Sondern auch im Urlaub. Während wir alle Jahre wieder bis zur Erschöpfung die dicken bunten Urlaubsprospekte wälzen und im Ehekrieg liegen um Thailand, Trinidad oder Tonga, ist Helmut Kohls Urlaubsbegierde St. Gilgen am Wolfgangsee. Und das seit nunmehr 22 Jahren, wenn wir richtig mitgezählt haben. Sollen die vom anderen politischen Ufer getrost in der Toskana ihren Montepulciano d'Abbruzzo süffeln! Der Bundeskanzler erholt sich von seinen Bonner Blackouts in felix Austria. Basta!

Warum wie die Sammler und Jäger die letzten Paradiese entdecken, noch dem entferntesten Eingeborenenstamm in die Suppenschüssel gucken, ein Land nach dem anderen abhaken? Nein, der Mann von der Wolfgangsee-Fraktion lebt jahrein, jahraus wie selbstverständlich das vor, was die Zunft der miesepetrigen Tourismuskritiker gebetsmühlenhaft fordert: Reisezieltreue. „Besonders ältere Menschen wählen mit Vorliebe einen Urlaubsort, der ihnen schon von früher her bekannt ist“ (E. Kubetschka).

Triumphpforte zum Wolfgangsee

„St. Gilgen wird als ,Triumphpforte zum silberweiß strahlenden Wolfgangsee‘ gepriesen, durch die der Fremde von Norden her ins Salzkammergut hineinkommt“ (Reiseführer-Text). Am Ortseingang grüßt der Schutz- und Ortspatron, der segnende heilige Ägidius, die Gäste. Eine Gedenktafel am Bezirksgericht offenbart, daß Mutter Mozart, Anna Maria Pertl, im Jahre 1720 hier geboren wurde. Vor dem Rathaus sprudelt der hübsche Mozartbrunnen, das Wahrzeichen der Stadt.

„Mit jedem Jahr, das Helmut Kohl und seine Familie in den Ferien das Haus eines Münchner Ingenieurs in der Mondseestraße 34 direkt am Wolfgangsee mieteten, haben er und die St. Gilgener mehr entdeckt, daß sie zueinander passen“, wußte die Welt schon im August 1985 zu berichten. Das Urlaubsdomizil mit dem weißen Geweih, wo er zuweilen persönlich zum Geschirrhandtuch greifen soll (eine andere Version besagt, daß er lieber abspült), liegt etwas abseits vom großen Rummel.

Die dreiwöchige Urlaubspause vom Saumagen-Alltag kompensiert der heißhungrige Bundeskanzler erfolgreich mit der weiß- rot-weißen Küche der Alpenrepublik. Köstliche Kalorienberge wie seine Lieblingsspeise Kasnockerln und Bauernschmaus gibt's im Gasthof Fürberger. (Aus der Gerüchteküche des Kanzleramts dringt, Kohl würde auch in den Sommerurlaub immer ein paar Büchsen hausgemachte Pfälzer Wurst mitnehmen.)

Im nächsten Osterurlaub geht's halt wieder, im ewigen Kampf gegen den Bauchspeck, in den österreichischen Kurort Bad Gastein zur „Franz-Xaver-Mayr-Diät“ (Fastenkur).

„Er kennt jedes Wegerl und jedn Stoan“

Der eingefleischte Bergfex folgt immer wieder gern dem Ruf der umherliegenden Tausender. Wie zum Beispiel dem 1.520 Meter hohen Zwölferhorn, seines Zeichens Hausberg von St. Gilgen, dem Sulzberg oder dem Saurüsselberg. „Er kennt schon jedes Wegerl, er kennt jedn Stoan. Und war er im Nachbarland nöt a so engagiert, war er bei uns zan Fremdenführer prädestiniert“, machte sich der vollbärtige St. Gilgener Heimatdichter Bachtl Schurl (bürgerlich Georg Hödelmoser) seinen Reim über das deutsche Urgestein.

Was dem Operettenort St. Wolfgang das „Weiße Rößl“, ist St. Gilgen der „Schwarze Riese“. 1985 wurde Kohl – nach einem Heimatdichter und einem Segler – in einem Festakt zum Ehrenbürger „seiner“ Urlaubsgemeinde ernannt. Auf dem Mozartplatz war alles prächtig angerichtet: Böllerschüsse und Blasmusik, Liedertafel und Kirchengeläute, Girlandenspalier der Ehrenjungfrauen und Jungtrachtler, Traditionsfahnen, Vereinsabordnungen, Honoratioren, Hunderte von Schaulustigen.

„Dies ist eine Kernlandschaft Europas, in der Kulturen und Landschaft förmlich in einer Wesenheit zusammengekommen sind“, betonte der Hochdekorierte in seiner Dankesrede. „Hier ist man mitten im Abendland“, setzte er dem Salzkammergut geographische Akzente. „Die Wahrheit ist“, diagnostizierte die Süddeutsche Zeitung damals, daß diese Feier „vor allem ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der St. Gilgener Tourismusindustrie sein soll“.

Und in drei Jahren steht die silberne Urlaubshochzeit von Helmut und Hannelore ins St. Gilgener Haus! Wie sagte weiland, freilich in anderem Zusammenhang, Hannelore über ihren treuen Gatten: „Wer ihn hat, der hat ihn lange.“

Fremdenverkehrspolitisch ist so ein Herausragender wie Helmut Kohl ein unbezahlbarer Werbeträger. Das wußte der damalige Landeshauptmann des Salzburger Landes zu würdigen, als er bei der Ehrenbürgerzeremonie die ganzen deutschen Urlaubspiefkes gleich mit auszeichnete. Denn hier spricht man deutsch: Statistisch gesehen liegen die Gäste aus dem Nachbarland in zwei von drei der 5.000 St. Gilgener Urlaubsbetten. Mit seinen 90.000 Gästen und 495.000 Nächtigungen im Jahr 1992 ist das 3.000-Einwohner-Dorf immerhin der größte Urlaubsort am Wolfgangsee. „Wir sind sehr stolz, daß Herr Bundeskanzler Kohl nach wie vor zu uns kommt“, schwillt die Brust von Fremdenverkehrsdirektor Josef Traunwieser, um sogleich wieder einzuschränken: „Er ist ein Gast wie jeder andere Gast, um den man nicht viel Aufhebens macht.“ Dem ist mitnichten so. Denn die strammen Jungs von der Körperwacht observieren den ausländischen Mitbürger auf Ferienzeit ohn' Unterlaß: „Etwa zwölf nur an ihren auffälligen Handtaschen erkennbare Sicherheitsbeamte aus der Bundesrepublik“, registrierte die Presseagentur AP anno 1986. Ganz zu schweigen von den Paparazzis, die ständig auf der Lauer liegen...

Im letzten Sommer hat es erstmals ernsthafte Abwerbungsversuche gegeben. Unverblümt fragte der Graubündner Verkehrsverein: „Warum denn immer Wolfgang, Herr Bundeskanzler?“ und ermunterte ihn, in seinen „Feriengewohnheiten eine Wende (zu) wagen“ und in die Eidgenossenschaft an die Gestade des Bündner Sees zu wechseln. Und zwei naßforsche Ossis, sächsische Parlamentarier, erdreisteten sich gar, ihn zum Urlaubstrip in den wilden Osten zu animieren: Statt satter Almen und glücklicher Kühe versprachen sie verrottete Industrieanlagen, statt tiefblauer Gewässer verschmutzte Seen, statt gastfreundlicher Einheimischer unzufriedene Demonstranten.

Ernsthafte Versuche der Abwerbung

Vergebliche Liebesmüh! Denn Kohl ist kein Urlaubs-Wendehals. Seit dem 23. Juli weilt er wieder in St. Gilgen. Die „ausgesprochene Leseratte“ (Kohl über Kohl im „Tagesthemen“-Interview mit Ulrich Wickert am 22. Juli) hat „die Absicht, viel zu wandern, viel zu schwimmen, viel zu schlafen und mit Freunden mich zusammenzusetzen“.

Nähere Informationen: Fremdenverkehrsverband A-5340 St. Gilgen, Mozartplatz 1,

Tel.: 0043/6227/348.

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