Algeriens Ministerpräsident abgesetzt

Durch Kontakte mit Ben Bella und einem „Flirt“ mit den Islamisten ist Belaid Abdessalam beim Hohen Staatsrat in Ungnade gefallen / Früherer Premier Kasdi Merbah ermordet  ■ Von Khalil Abied

Kairo (taz) – Das Gerangel zwischen den verschiedenen Machtzentren der algerischen Führung hat sich am Wochenende verschärft. Auf seiner letzten Sitzung am Samstag beschloß der Oberste Staatsrat, Regierungschef Belaid Abdessalam sang- und klanglos zu entlassen. Die Entlassung von Belaid Abdessalam, des Hauptkonkurrenten des Staatsratsvorsitzenden Khaled Nezzar, war keine Überraschung. Schon länger sprachen politische Beobachter davon, daß seine Zeit abgelaufen sei. Er habe seine Entlassung provoziert, heißt es jetzt, da er sich mit allen angelegt habe, mit dem Präsidenten, dem Staatsrat und mit den Offizieren.

Aber Belaid Abdessalam hatte sich sicher gefühlt. Anfang nächsten Jahres soll mit der Ernennung eines Übergangsparlaments und der Bildung eines dreiköpfigen Präsidialrates eine „Übergangsphase“ eingeleitet werden. Da würde sich der Staatsrat kaum trauen, die Schwäche des Regimes zur Schau zu stellen – dachte Belaid Abdessalam und meinte, er hätte freie Hand, seine Position gegenüber Nezzar auszubauen. Doch die Rechnung ging nicht auf.

Während der Sommerferien in der ersten Augusthälfte brachte er das Faß offenbar zum Überlaufen. In einer Fernseherklärung sprach er unter Anspielung auf Khaled Nezzar von den „Habenichtsen, die bereits drei Regierungen zu Fall gebracht haben.“ Der zweite Stein des Anstoßes war sein Treffen mit Ex-Präsident Ben Bella, der erst kürzlich aus seinem zweiten Exil nach Algerien zurückgekehrt war. Belaid Abdessalam hatte Ben Bella ein taktisches Bündnis gegen Nezzar angeboten und angedeutet, daß er seine Kandidatur zum Staatspräsidenten unterstützen werde, wenn er ihm dafür den Rücken freihalte. Seit seiner Rückkehr versucht der als gemäßigt islamisch geltende Ben Bella zwischen den kontroversen politischen Kräften des Landes, inklusive der FIS zu vermitteln. Belaid Abdessalam hoffte offenbar, über gute Beziehungen zu Ben Bella die stille Unterstützung der arabischen Nationalisten und Islamisten zu gewinnen. Er ging sogar so weit, Ben Bella zu bitten, von Khaled Nezzar zu fordern, einige führende Militärs zu entlassen, von denen Belaid Abdessalam meinte, sie seien gegen ihn. Vom Obersten Staatsrat und Khaled Nezzar wurde dies als regelrechte Kriegserklärung verstanden.

Aber auch innerhalb der Bevölkerung hatte Belaid Abdessalam immer weniger Ansehen. Seine Wirtschaftspolitik ist kläglich gescheitert. Die extreme Sparpolitik hat die meisten Leute mit unterem und mittlerem Einkommen gegen ihn aufgebracht. Verschärft wurden die Wirtschaftsprobleme noch durch die zunehmend häufigen Anschläge der FIS auf Vorratslager der Regierung. Das hat inzwischen in vielen Provinzen des Landes zu Versorgungsengpässen und enormen Preissteigerungen geführt. Die linke und säkulare Opposition wiederum war über die Flirts Belaid Abdessalams mit den Islamisten verärgert. In den letzten Wochen hatten die ihr nahestehenden Presseorgane wiederholt seinen Rücktritt gefordert.

Als neuer Regierungschef wurde der bisherige Außenminister Rida Malik ernannt. Er gilt als enger Freund Belaid Abdessalams, ist aber politisch und intellekktuell flexibler. Daß er Belaid Abdessalam zu einer erneuten politischen Karriere verhelfen wird, ist allerdings nicht zu erwarten, denn Malik gilt als ehrgeiziger Politiker mit eigenen Ambitionen, der sich kaum für einen Freund die Finger verbrennen wird.

Unklar blieb indes der Hintergrund der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Kasdi Merbah, der am Samstag in der Nähe von Algier erschossen wurde. Bei dem Anschlag wurden außerdem sein Sohn, sein Fahrer, sein Bruder und ein Leibwächter getötet. Der frühere Chef des militärischen Geheimdienstes, Oberst Merbah, war von Ende 1988 bis Ende 1989 algerischer Ministerpräsident. Bis Sonntag bekannte sich niemand zu dem Anschlag.